ist er zu keiner Zeit ein Vormärzliterat im vollen Sinne gewesen, so daß man besser auf die Bezeichnung verzichtet, mit der sein Existenzproblem verdunkelt wird. Er hatte allerdings, und darauf ist Wert zu legen, in Leipzig den Weg dahin eingeschlagen. Die Versuche, die er mit einem ersten Roman, mit Korrespondenzen und Übersetzungen unternahm, zeigten ihn um eine marktfähige schriftstellerische Produktion bemüht, und wenngleich die Verwirklichung unterblieb, so trug er sich doch ernsthaft mit der Absicht, den Dienst an der Poesie mit der Arbeit in der Presse zum Brotberuf des Literaten zu verbinden.
Diese aussichtsreiche Entwicklung fand in Berlin keine Fortsetzung. Die raschen Fortschritte, die der Dichter und Übersetzer auf dem Feld der Ballade erzielte, waren durch eine Spezialisierung und ein Poesieverständnis erkauft, die hinter den Leipziger Standard zurückführten. Der „vaterländische Dichter“ Fontane — vaterländisch in der Bedeutung des preußisch Partikulären — setzte sich, wenn auch nicht ohne weiteres, gegen den Vormärzdichter gleichen Namens durch.
Zu diesem Rollenwechsel hat der „Tunnel über der Spree“ das meiste beigetragen. Der „Tunnel“ gehört einer Literaturgeschichte der großen Bewegungen, Namen und Schriften bloß wegen dieses biographischen Faktums an. Er wirft Licht auf das literarische Berlin im zweiten Drittel des Jahrhunderts, daß er dennoch daraus nicht wegzudenken ist. obwohl er die Öffentlichkeit lange Zeit geradezu ängstlich gemieden und ferngehalten hat. Soziologisch und kommunikationsgeschichtlich war der „Literarische Sonntagsverein“ eine Merkwürdigkeit und in vielem anachronistisch. Darüber ist man außer durch Fontanes ausführliche Darstellungen durch das umfangreiche, wohlgeordnete Archiv unterrichtet, das der „Tunnel“ 1898 hinterlassen hat; allein von der Hand Fontanes finden sich fast hundert Sitzungsprotokolle. 1843 als Gast eingeführt durch Bernhard von Lepel, einen Platen-Epigonen, der als Offizier bei den Kaiser-Franz-Gardegrenadieren stand und sein Vorgesetzter und engster Freund wurde, war er unter seinem Vereinsnamen Lafontaine eines der eifrigsten Mitglieder. Er hat diese Hingabe einleuchtend erklärt: „Es kommt nun darauf an, daß einen das Leben, in Gemäßheit der von einem vertretenen Spezialität, richtig einrangiert. So kam es, daß ich trotz meiner jämmerlichen Lebensgesamtstellung, doch jeden Sonntag nachmittag von vier bis sechs richtig untergebracht war, nämlich im Tunnel. Dort machte man einen kleinen Gott aus mir. Und das hielt mich“. 30 Wenn man aus Fontanes Worten wieder nur eine „gewisse Eitelkeitsbefriedigung“ 31 herauslesen wollte, wäre er mißverstanden. Denn ebenso ist von seinen Deklassierungsnöten und dem entfremdeten Verhältnis zum Apothekerberuf die Rede, die der Hauptgrund waren, daß die Tunnelmitgliedschaft bis zur Märzrevolution für ihn zum Lebensinhalt werden konnte. Im Verein verkehrte Lafontaine auf gleichem Fuße mit Schenkendorf, Spinoza, Immermann, mit Cook und Cocceji, die im bürgerlichen Dasein v. Lepel, Löwenstein, v. Merckel, Scherenberg und v. Mühler hießen und den Aufgaben eines Offiziers, eines Gerichts- oder Regierungsassessors, Zeitungsmannes oder Dichters nachgingen. Mancher hat es bis zur Exzellenz gebracht.
