Die Gleichstellung zwischen den Herren des Sonntagsvereins hob Fontanes Unterprivilegiertheit natürlich nicht auf, aber die Bedingungen des „Tunnels“ erlaubten ihm, sie wettzumachen. Er befand sich zunächst in einer Ausnahmesituation. Unter den 57 Mitgliedern, die er für seine aktive Zeit, die bis etwa 1860 reichte, als nennenswert betrachtete, findet sich sonst kaum jemand, der nach Herkunft oder Beruf und Bildung im „Tunnel“ nicht von vornherein an seinem Platze gewesen wäre; es sind alles studierte Leute oder Militärs oder — in bezeichnender Unterscheidung — „Dichter, Berufsschriftsteller. Künstler“ 32 . Dieser Kreis war den Standesansprüchen und poetischen Passionen nach, die Fontane mitbrachte, wie für ihn geschaffen. Er ist in seinen Einstellungen dauerhaft davon geprägt worden, daß es ihm gelang, gestützt auf wenig mehr als seine Persönlichkeit und sein Talent, sich rasch die Anerkennung seiner Ebenbürtigkeit zu erwerben. Das war der Grund, weshalb er zum „Tunnel" in existenzielle und partiell unentfremdete Beziehungen treten konnte, obwohl der Verein „an vielen Sonntagen nichts weiter [war] als ein Rauch- und Kaffeesalon, darin, während Kellner auf und ab gingen, etwas Beliebiges vorgelesen wurde“. 33
Im „Tunnel über der Spree“ organisierte sich mit Eulenspiegel als Schutzheiligem und mit Hilfe eines Statuts von 130 ernsthaften Paragraphen eine interne Öffentlichkeit, die vom Literaturmarkt und den drucktechnischen Medien trotz vieler Querverbindungen unabhängig war. Die Autoren trugen aus dem Manuskript vor, das Auditorium reagierte spontan und schritt sogleich zur Meinungsbildung; jeder war Publikum, und jeder konnte Autor sein. Diese Kommunikationsbeziehungen bewahrten den Vorzug der Unmittelbarkeit, stuften jedoch die Literatur oder besser die Poesie aus einer vorrangig gesellschaftlichen zu einer vorrangig geselligen Angelegenheit zurück. Das leistete dem Dilettantismus und der Lebensferne Vorschub, die sich in den ästhetischen Überzeugungen und den dichterischen Produkten des Vereins breitmachten und ihm schon von den Zeitgenossen zur Last gelegt wurden. Das politisch-ideologische Preußentum der tonangebenden Kräfte war in dem vorherrschenden Konservatismus des „Tunnels“ nur ein Moment neben anderen.
Dies vorausgesetzt, kann man zwei kritischen Punkten des Vereinslebens mit historischem Verständnis begegnen. Indem er sich satzungsgemäß, wenn auch nicht immer streng die religiöse und politische Debatte verbot, sorgte er für seinen Bestand; ohne diese Enthaltsamkeit, die dem inneren Frieden diente, wären vermutlich die „Tunnel“-Sonntage auch polizei- licherseits gezählt gewesen. 1848 stand er ohnedies vor dem Zusammenbruch, um im Nachmärz neuen Aufschwung zu nehmen. Und an den vielen Dilettanten bleibt neben dem literarischen „Konventionalismus“ 34 , den sie in den „Tunnel“ hineintrugen, ein kultureller Standard bemerkenswert, der seitdem nicht allein unter preußischen Ministerialbeamten und Gardeoffizieren verlorengegangen ist; er schloß mit einer gewissen Selbstverständlichkeit die produktive und rezeptive, um Sachverstand und Urteilsfähigkeit bemühte Betätigung künstlerischer Neigungen ein.
Fontanes Eingliederung in den „Tunnel“, von dem persönliche Verbindungen zu Regierungsstellen und zum Hofe liefen, versetzte ihn in den
