Heft 
(1986) 41
Seite
297
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Die Gleichstellung zwischen den Herren des Sonntagsvereins hob Fontanes Unterprivilegiertheit natürlich nicht auf, aber die Bedingungen desTun­nels erlaubten ihm, sie wettzumachen. Er befand sich zunächst in einer Ausnahmesituation. Unter den 57 Mitgliedern, die er für seine aktive Zeit, die bis etwa 1860 reichte, als nennenswert betrachtete, findet sich sonst kaum jemand, der nach Herkunft oder Beruf und Bildung imTunnel nicht von vornherein an seinem Platze gewesen wäre; es sind alles studierte Leute oder Militärs oder in bezeichnender Unterscheidung Dichter, Berufsschriftsteller. Künstler 32 . Dieser Kreis war den Standes­ansprüchen und poetischen Passionen nach, die Fontane mitbrachte, wie für ihn geschaffen. Er ist in seinen Einstellungen dauerhaft davon geprägt worden, daß es ihm gelang, gestützt auf wenig mehr als seine Persönlich­keit und sein Talent, sich rasch die Anerkennung seiner Ebenbürtigkeit zu erwerben. Das war der Grund, weshalb er zumTunnel" in existen­zielle und partiell unentfremdete Beziehungen treten konnte, obwohl der Vereinan vielen Sonntagen nichts weiter [war] als ein Rauch- und Kaffeesalon, darin, während Kellner auf und ab gingen, etwas Beliebiges vorgelesen wurde. 33

ImTunnel über der Spree organisierte sich mit Eulenspiegel als Schutz­heiligem und mit Hilfe eines Statuts von 130 ernsthaften Paragraphen eine interne Öffentlichkeit, die vom Literaturmarkt und den drucktech­nischen Medien trotz vieler Querverbindungen unabhängig war. Die Autoren trugen aus dem Manuskript vor, das Auditorium reagierte spontan und schritt sogleich zur Meinungsbildung; jeder war Publikum, und jeder konnte Autor sein. Diese Kommunikationsbeziehungen bewahr­ten den Vorzug der Unmittelbarkeit, stuften jedoch die Literatur oder besser die Poesie aus einer vorrangig gesellschaftlichen zu einer vorrangig geselligen Angelegenheit zurück. Das leistete dem Dilettantismus und der Lebensferne Vorschub, die sich in den ästhetischen Überzeugungen und den dichterischen Produkten des Vereins breitmachten und ihm schon von den Zeitgenossen zur Last gelegt wurden. Das politisch-ideologische Preußentum der tonangebenden Kräfte war in dem vorherrschenden Konservatismus desTunnels nur ein Moment neben anderen.

Dies vorausgesetzt, kann man zwei kritischen Punkten des Vereinslebens mit historischem Verständnis begegnen. Indem er sich satzungsgemäß, wenn auch nicht immer streng die religiöse und politische Debatte verbot, sorgte er für seinen Bestand; ohne diese Enthaltsamkeit, die dem inneren Frieden diente, wären vermutlich dieTunnel-Sonntage auch polizei- licherseits gezählt gewesen. 1848 stand er ohnedies vor dem Zusammen­bruch, um im Nachmärz neuen Aufschwung zu nehmen. Und an den vielen Dilettanten bleibt neben dem literarischenKonventionalismus 34 , den sie in denTunnel hineintrugen, ein kultureller Standard bemerkenswert, der seitdem nicht allein unter preußischen Ministerialbeamten und Garde­offizieren verlorengegangen ist; er schloß mit einer gewissen Selbstver­ständlichkeit die produktive und rezeptive, um Sachverstand und Urteils­fähigkeit bemühte Betätigung künstlerischer Neigungen ein.

Fontanes Eingliederung in denTunnel, von dem persönliche Verbin­dungen zu Regierungsstellen und zum Hofe liefen, versetzte ihn in den