Heft 
(1986) 41
Seite
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Aber bei Licht besehen waren diese alternativen Vorhaben immer schon halb in die Luft gebaut. Das eine Mal rechneten sie mit tausend Talern, die nicht vorhanden, das andere Mal mit den Pfründen eines königlichen Bibliothekars, die in fester Hand waren. Außerdem hätten sie Fontane auf die Position des Poeten zurückgebracht, die er gerade hinter sich ließ. Er verwandte denn auch auf ihre Realisierung nicht den Bruchteil jener Energie und Beharrlichkeit, mit denen er so lange wie möglich für sein Verbleiben im staatlichen Pressedienst sorgte. Das ganze Netz seiner sozialen Beziehungen verband ihn mit Berlin. Hier lebten die Freunde und Bekannten, die ihm seinen Status gewährleisteten, es war der Sitz der Regierungsstelle, von der er beschäftigt wurde, und der Zeitungen, für die er schrieb. Nur ganz erhebliche Vorteile hätten ihn, wie er mehr­fach zu verstehen gab, dazu bewegen können, diese Stadt auf die Dauer gegen eine andere einzutauschen. An der Stabilität der sozialen Bezie­hungen, die Fontane in Berlin festhielten, änderten der Verlust alter Freunde, das Eintreten in neue Wirkungskreise und Unternehmungen nichts Wesentliches; auch nicht die extremen Schwankungen, mit denen er sie je nach den Umständen beurteilte.

Bis zum Beginn der sechziger Jahre bewegte er sich, während er über denTunnel hinauswuchs, noch vorwiegend in dessen Einzugsgebiet. Es gab andere Kreise, wo er nicht anzutreffen war, obwohl sich dort gleichfalls die literarische Intelligenz der Stadt sammelte. Dabei war er ein ergiebiger, gern gesehener Gast, der von sich sagen durfte, er sei frei, unbefangen, ungebeugt und in der Gesellschaft meist heiter kein Mensch siehts und denkt dran daß mir mitunter anders zu Muthe ist und daß ich des Lebens Sorge sehr wohl kenne. 48 Er hätte sich an der Kaffeetafel, zu der donnerstags Varnhagen von Ense und seine Nichte Ludmilla Assing einluden, oder in den prunkvollen Räumen, wo der Verleger und Fortschrittsmann Franz Duncker mit seiner Frau Lina, einer geborenen Tendering, regelmäßig ihre Gesellschaft versammelten, wahrscheinlich bequemer zurechtgefunden und weniger sonderbar aus­genommen als Gottfried Keller, der dort die besten Stunden zubrachte. Man hat auch keine Mühe sich vorzustellen, daß seine hochgewachsene Gestalt Bellevuestraße 13 unter den Besuchern und Freunden Ferdinand Lass alles auf taucht, Seite an Seite mit dem ergrauten Tunnelgefährten Christian Friedrich Scherenberg, der im Nachmärz lokale Erfolge mit seiner historischen Schlachten-Epik erzielte und ganz vergessen wäre, hätte ihm nicht Fontane eine pietätvolle Lebensdarstellung gewidmet. 47 Sich in diesen geistig höchst beweglichen, gesellschaftlich gemischten Kreisen zu behaupten, wäre Fontane nicht schwerer gefallen als Ludwig Pietsch, der bei Duncker und Lassalle ein- und ausging (er war später Fontane ein guter Kollege an derVossischen Zeitung, ein gefeierter Journalist, der vom sozial-literarischen Typus her Julius Rodenberg und Paul Lindau nahestand).

Zwischen diesen Zirkeln, zu denen noch die gesuchten Montagabende bei Fanny Lewald und Adolf Stahr hinzukamen, waren die Grenzen offen und der Verkehr fließend. Wie aus Scherenbergs Beispiel zu ersehen ist, der den Beifall hoher Militärs und die Unterstützung des Hofes hatte,

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