Doch spitzten sich die Gegensätze stärker zu, als diese „Zeitungssolidarität“ 50 vertragen konnte.
„Uhlands Tod (November 1862) brachte den Landsmann des großen schwäbischen Dichters, Berthold Auerbach, auf den Gedanken, eine Todtenfeier der Berliner Presse für den Verstorbenen anzuregen. Die Redacteure der ,Kreuzzeitung‘ erhoben Widerspruch. Der Ausspruch Uhlands, daß der deutsche Kaiser mit einem Tropfen demokratischen Oels gesalbt sein müsse, und die ganze politische Thätigkeit des schwäbischen Demokraten wollte ihnen nicht in den Sinn. Sie erklärten, daß sie vor dem Dichter Uhland freilich die größte Achtung empfänden, daß sie mit dem Politiker Uhland keinesfalls sympatisirten, daß es ihnen ferner unmöglich erschiene, den Dichter zu feiern, ohne gleichzeitig dem Politiker zu huldigen, und daß sie deshalb vor einer Feier warnen müßten, die nach ihrer Auffassung den Statuten, welche jede politische Kundgebung des Vereins untersagten, schnurstracks zuwiderliefe. Sie drangen mit dieser Ansicht nicht durch. Auerbachs Antrag wurde angenommen, das Fest wurde begangen, und die Redacteure der ,Kreuzzeitung‘ schieden aus dem Vereine aus“. 51
Fontanes Position hatte sich verändert. Aber auch die öffentliche Szene verwandelte sich, seit darauf die rapide angewachsene nationale Bewegung der ersten sechziger Jahre Platz griff, an der er keinen Anteil hatte. Berlin war der Brennpunkt ihrer Auseinandersetzungen mit der Hohenzollern- monarchie und dem Junkertum, der parlamentarische und publizistische Austragungsort zumal des Konflikts mit dem Ministerium Bismarck. In der preußischen Hauptstadt mußten die deutschen Entscheidungen fallen, dorthin richteten sich die Blicke, und wer in diese Prozesse einzugreifen oder von ihnen zu profitieren gedachte, fand dort die Gelegenheit. Naturgemäß stand die Presse im Vordergrund. Karl Marx, der nach der Amnestie für die Achtundvierziger an Ort und Stelle die Situation sondieren konnte, kam 1861 zu dem Schluß (der sich allerdings nicht realisieren ließ): „Unter diesen Umständen nun wäre es in der Tat ganz zeitgemäß, wenn wir nächstes Jahr eine Zeitung in Berlin herausgeben könnten, so widrig mir persönlich der Platz ist“. 52 1861 gingen Robert Schweichei, der in der Schweiz Zuflucht gefunden hatte, und 1862 Wilhelm Liebknecht, der aus dem Londoner Exil zurückkehrte, zur soeben gegründeten „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“, bis sich herausstellte, daß das Blatt Bismarcks Geschäfte besorgte. Aus London kam übrigens auch Lothar Bücher wieder, gegen dessen einflußreiche englische Korrespondenzen die preußische Regierung vergeblich ihren Presseagenten Fontane aufgeboten hatte. Auch Bücher ging zu Bismarck über. Der Berliner Karl Frenzei (später ein Spezialkollege Fontanes als Theaterkritiker) wurde Redakteur der „National-Zeitung“; aus Leipzig erschien Julius Schmidt, um die Leitung der altliberalen „Berliner Allgemeinen Zeitung“ zu übernehmen. Der durch seine „Dorfgeschichten“ berühmte Berthold Auerbach hatte seinen Wohnsitz schon 1859 nach Berlin verlegt; Friedrich Spielhagen — nach dem frischen Erfolg der „Problematischen Naturen“ — kam 1862, und im selben Jahr siedelte sich Julius Rodenberg hier an, um mit der Übernahme des „Illustrierten Magazins“ seine Karriere als Zeitschriften-
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