Herausgeber anzutreten. Die Anzahl der Berliner Tageszeitungen belief sich 1866 bereits auf zehn.
Auf die widerspruchsvollste Weise legte damals auch Fontane den Grund für seine weitere schriftstellerische Laufbahn. Am Aufschwung des Pressewesens war er insofern beteiligt, als sich durch seine Verbindung mit der „Kreuzzeitung“ endlich seine Stellung als Literat normalisierte und stabilisierte. Damit erlangte er eine weitgehende Unabhängigkeit von persönlicher Protektion und von der Wahrnehmung drückender politischer Nebenfunktionen, die im Staatsdienst seine Hauptaufgabe gewesen war. Hand in Hand mit dieser Normalisierung seiner beruflichen Existenz ging ein ebenso origineller wie ideologisch prekärear literarischer Neubeginn, durch den er unerwartet seinen Anschluß an den kleinmeisterlichen, meist regionalen, oft provinziellen, vielfach historisierenden Realismus in der deutschen Nachmärzliteratur herstellte, obwohl er das Kleinmeisterlich-Provinzielle gerade vermeiden wollte. Das Grundkonzept brachte er aus London mit. Es zielte auf eine Alternative sowohl zu einer zeit- und weltentrückten poetischen Selbstgenügsamkeit, die er mit den Namen Storm und Roquette bezeiehnete, als auch zur unterhaltungs- und gewinnorientierten Tagesliteratur. Das „Rütli“ hatte solch hochgespannten Erwartungen nicht nachzukommen vermocht:
„Mitunter dacht ich freilich, aus unsrem Rütli würde sich eine geistige Gesamtheit, ein bestimmtes Prinzip, eine charaktergebende Idee entwickeln, und in dieser Beziehung sind wir hinter uns selbst und unsrer Aufgabe zurückgeblieben. Aber es sind wenigstens Anläufe dazu vorhanden, und wenn ich angeben soll, worin sie bestehen, so würd’ ich sagen: in Bekämpfung der hohlen Phrase, in Heilighaltung jener ehrlichen Romantik, die allein Poesie ist, und in Anti- Kladderadatschtum. Den Kladderadatsch als Einzelerscheinung laß ich gelten, aber das Kladderadatsch tum ist doch ein Gift, das an unsrem ganzen Leben zehrt“. 53 Fontanes Wendung gegen das Kladderadatschtum war mehr als eine Absage an die volkstümliche, meist humoristische, oftmals tagesaktuellkritische lokale Literatur, die es zwischen 1830 und 1860 in der Stadt als einzige Richtung zu Originalität, kontinuierlicher Entwicklung und Wirkung aufs größere Publikum brachte. Der „Kladderadatsch“ mußte nicht zu Unrecht für die Bezeichnung herhalten; dieses vielgelesene, mit Illustrationen versehene politische Witzblatt verdankte sein Dasein dem „tollen Jahr“ 1848 und seine Gründung David Kalisch, der unter den Berliner Possenschreibern der erfolgreichste war; im wesentlichen liberal eingestellt, überstand er alle Stürme der Zeit; für Fontane repräsentierte es in der Literatur zusammen mit der Lokalposse samt ihren Couplets und mit den Volksfiguren eines Glaßbrenner etwas, das er später das „moderne Berlinertum“ nannte 54 .
In den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ setzte Fontane sein Gegenkonzept um. Sie führten, was man auch sagen mag, vom modernen Berlin, das darin praktisch nicht vorkommt, hinweg ins alte Preußen. Er hielt das für den Weg, die vermißten Werte wieder aufzufinden. Aber natürlich dachte er nicht im Traum daran, sich deswegen nach Rheinsberg, ins Oderbruch oder auch nur nach Potsdam zurückzuziehen. Denn dessen
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