Spektakels, das „doch nur für Lords und Bankiers inszeniert“ sei. 1 Am nächsten Tag ist es dann soweit: Fontane sitzt auf einem der bekannt unbequemen Sessel des Festspielhauses, durchnäßt von einem eben niedergegangenen Wolkenbruch, ein „Geruch von aufgehängter Wäsche“ beherrscht das bis zum letzten Platz besetzte Haus - ihm wird „sonderbar“. Die Türen werden geschlossen, es ist „stockduster“. Dann beginnt das Vorspiel zum ,Parsifal‘: „Sehr langsam“, sehr ausdrucksvoll“, „sehr zart“, wie die Bezeichnungen der Partitur lauten. Fontane freilich behält nur den ^-Mittelteil im Gedächtnis, in dem die Blechinstrumente dominieren; sie kommen ihm vor wie die „Posaunen des Letzten Gerichts“. 2 Als das Vorspiel im pianissimo zu Ende geht, überkommt Fontane in dem „geschlossenen Scheunen-Tempel“ 3 eine klaustrophobische Panik: „,also noch 3 Minuten und Du fällst ohnmächtig oder todt vom Sitz“. Also wieder 'raus. “ An 40 Personen vorbei strebt Fontane der Tür zu, sie wird auf sein Pochen geöffnet, als er endlich draußen ist, erfüllen ihn „Preis und Dank“. Trotz des „nervösen Desasters“ aber bedauert Fontane den Bayreuth- Besuch nicht: die Beobachtung des „Welttreibens“ 4 , des „Wagner-Cults“ 5 entschädigt ihn für die entgangenen musikdramatischen Offenbarungen.
Es liegt nahe, Fontanes Flucht aus der Dunkelheit des Wagnertheaters hinaus in die Helle des Tages, der gesellschaftlichen Realität zu interpretieren als Drang des aufgeklärten Skeptikers weg von den Nachtseiten und Exzessen der Wagnerschen Romantik hin zum maßvollen, nüchternen Realismus. Daß er anschließend das ,Tristan‘-Billet zugunsten einer „frommen Stiftung“ verkauft, wäre dann sozusagen der ironische Protest des sozialhistorisch wachen Romanciers gegen den Solipsismus des Gefühls in Wagners „opus metaphysicum“. Weitere Belege, die in eine ähnliche Richtung weisen, lassen sich unschwer finden, und so hat sich in der Fontane-Forschung seit Hans-Heinrich Reuter denn auch die Einschätzung etabliert, in Fontane und Wagner gewissermaßen Antipoden zu sehen: jener ein aufrechter Aufklärer, Skeptiker und Rationalist mit politischem und sozialem Gespür, dieser ein Monomane des Gefühls und der Macht, ein Ideologe der romantizistisch-dekadenten Moderne. Bayreuth und die „Freie Bühne“ wären danach zwei Ausprägungen der Moderne, zwischen denen es „durch die Scheidung zwischen .falsch' und ,echt“‘ keine Vermittlung gibt: das eine ein „Revers“ des anderen. 6 Die neuere Wagner- Forschung, sofern sie Fontane unter wirkungsgeschichtlichem Aspekt überhaupt behandelt, erkennt zwar dessen Scharfblick bezüglich der ideologischen Begleitumstände von Wagners Wirken an, rügt aber die - von Fontane selbst immer wieder eingestandene — Musikferne, die den einzig möglichen Zugang zum Musikdrama versperre. 7 Mir scheint, daß in solchen plakativen Zuordnungen eine wesentliche Dimension Fontanes nicht hinreichend zur Geltung kommt: nämlich seine prinzipielle Offenheit gegenüber allen politischen und kulturellen Strömungen des 19. Jahrhunderts, eine Offenheit, die allerdings nicht mit Standpunktlosigkeit verwechselt werden darf. Das Stichwort „Ambivalenz“, das hier oft ins Spiel gebracht wird, verdeckt eher das entscheidende kreative Prinzip, aus dem Fontanes Denken und Sprache leben: das Prinzip des Widerspruchs nämlich, das immer in Aktion tritt,
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