Heft 
(1986) 41
Seite
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sei konservativ und lasse ungern ab von liebgewonnenen Klängen (,Aus den Tagen der Okkupation' II; HFA III,4 S. 858), so zeigt sich auch daran eine individuelle Barriere gegenüber derZukunftsmusik Wagners. Auf einer objektiveren gesellschaftlichen Ebene jedoch liegen Fontanes Vor­behalte gegenüber dem kulturellenBetrieb im allgemeinen und der im Umfeld der gründerzeitlich-wilhelminischen Bourgeoisie entstandenen Musikschwärmerei im besonderen. Auf die Stellung Wagners innerhalb dieses Kulturbetriebes bezieht sich Fontane immer wieder, seine Kritik gilt Wagnersimage und dem Wagnerismus mehr noch als den musik­dramatischen Werken selbst. In einer Mischung aus Distanz und Neugier greift Fontane das Anekdotische, die biographische Pointe, den gesell­schaftlichen Klatsch um Wagner und seine Anhänger a.uf; so ist es nur konsequent, daß er an dem von Friedrich Theodor Vischer kolportierten Wort Gottfried Kellers über Wagner, dieser sei eingenius crepitus, ein Genie derBlähung, großes Vergnügen findet (HFA III,4 S. 702 f). Durch Presseberichte seiner Berliner Kritikerkollegen Paul Lindau, Karl Fren­zei und Gustav Engel sowie durch Erzählungen von Freunden und Bekannten, etwa Julius Stockhausen, Adolf Menzel oder Ludwig Pietsch, wird sich Fontane über die Grundsteinlegung des Bayreuther Festspiel­hauses 1872 und über die ersten Festspiele 1876 informiert haben. Dabei bleibt auch bei ihm trotz aller Kritik der Eindruck vorherrschend, daß Bayreuth eine kulturelle Leistung ersten Ranges darstellt. So rügt er am 14. Oktober 1876 eine gegen Wagner gerichtete Stelle in Roderich Benedix Drama .Gegenüber', die er zweieinhalb Jahre vorher noch un­beanstandet gelassen hatte (HFA III,2 S. 166 f; NFA XXII/1 S. 512), als nicht mehr zeitgemäß. In der eigenen Familie macht sich übrigens eine Wagner-Schwärmerei breit, die nicht zuletzt ein Echo des Wagner-Enthu­siasmus des Berliner Publikums seit 1876 ist. Fontane selbst bleibt zwar distanziert, aber eine gewisse intellektuelle Neugier auch gegenüber Wagners Texten ist nun unverkennbar und bestimmt die weitere Aus­einandersetzung.

Diese Neugier Fontanes, die prinzipielle Offenheit des kritischen Verfah­rens, sein rationalistisch geprägter Skeptizismus sind Erbe der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, dem der Autor wie wohl kein anderer deutscher Romancier seiner Zeit in Denk- und Sprachform verpflichtet ist. Darauf hat bereits 1910 Thomas Mann aufmerksam gemacht, der seinerseits sowohl Fontane wie Wagner entscheidende Anregungen für sein eigenes Werk verdankt. Derselbe Thomas Mann weist bemerkenswerterweise aber auch auf Parallelen in Leben und Werk der beiden Antagonisten hin. So sieht er in Fontanesnervös gequälte[r] Konstitution einegewisse Ähnlichkeit mit der Wagners, nicht ohne sogleich auf denTempera­mentsunterschied zwischen dem kühleren, gemäßigteren Fontane und dem extrem leidenschaftlichen Wagner hinzuweisen. 111 Im durchgehenden Fontane-Ton, der eigentlich Fontanes naturalistisch beeinflußter Stil­theorie widerspreche, sieht Thomas Mann ein Analogon zu Wagners bei aller Unterschiedlichkeit der stofflich-künstlerischen Aufgabenstellung einheitlichem Stilwillen:Fontane [so Mann] war, alles in allem, eine sehr starke stilistische Persönlichkeit; von ihm wie etwa von Richard

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