eher überpointiert, sind ihre Hinweise auf das ,Tannhäuser‘-Modell vorzüglich. Melanie erhofft sich vergeblich in Rom das „Heil“; in Venedig jedoch, der Stadt Richard Wagners und der europäischen Decadence, gesundet sie. Hier läßt sich tatsächlich eine bewußte Umbiegung der Dekadenzmotive durch Fontane konstatieren: nicht ein „Tod in Venedig“ tritt ein, was vom Sujet her naheläge, sondern die Geburt eines Kindes als Garantie weiterer bürgerlich-familiärer Zukunft. Dies muß allerdings nicht eine völlige Abkehr von Wagner bedeuten, wie Eilert suggeriert 23 , sondern nur vom „Hexenmeister“ des ,Tannhäuser‘. ,Die Meistersinger 1 , eine von beiden Partnern bevorzugte Hymne auf die heimische Kunst und eine wirklich humane bürgerliche Gesellschaft, würden durchaus zu Melanies Sehnsucht nach dem Norden, der „Herzensheimat“ 24 passen. Vom Moment der Heimkehr der Ehepaars Rubehn aus Italien an wird allerdings nicht mehr auf Wagner angespielt. Die „Erlösung“ Melanies im österlichen Armengottesdienst der Nikolaikirche wird zur eigentlichen Antithese aller ,Tannhäuser 1 - und ,Tristan‘-Erlösungen. Da am selben Tag Rubehn seinen Reichtum verliert, gelangt Melanie nun zu einem Glück jenseits der bourgeoisen Luxusgesinnung, von der auch der jüdische Patrizier Rubehn angekränkelt war. Die Liebe als Eros verknüpft sich mit der Liebe als Agape; für .Tristan 1 - und ,Tannhäuser‘-Ekstasen ist hier kein Platz mehr, wohl aber für das bürgerliche Glück der .Meistersinger 1 . Singen und erleben sei eben ein Unterschied, meint Melanies alte Freundin Friederike. Melanie hat „feine Nerven“, sie neigt zu „Überreizungen“, aber sie haßt — wie ihr Autor — „sentimentale Verwirrung“. 25 So kann die Gefährdung durch das Elementare, deren partieller Ausdruck — nicht deren Ursache — die Wagnersche Musik im Roman ist, aufgehoben werden in einer neuen individuellen und sozialen Sicherheit.
Die Wagner-Anspielungen in .L’Adultera 1 zeigen die hohe gesellschaftliche und literarische Sensibilität Fontanes, der das Werk und die Ausstrahlung des Musikdramatikers bis dahin durch Presseberichte, Opernbesuche und gelegentliche Textlektüre kennengelernt hatte. Auch die weitere Auseinandersetzung Fontanes mit Richard Wagner muß in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Publikumswirkung gesehen werden. Die briefliche Bemerkung vom 2. Juni 1881 über den „R. Wagner-Enthusiasmus und -Schwindel“ 26 ist ein unmittelbarer Reflex auf die begeistert aufgenommene Berliner ,Ring‘-Inszenierung Angelo Neumanns im April und Mai dieses Jahres; die intensive sommerliche Lektüre des .Rings 1 wird ebenfalls durch dieses Theaterereignis angeregt worden sein. In zwei Briefen — an seine Frau 27 und an Karl Zöllner 28 — berichtet Fontane ausführlich über seine Eindrücke und Folgerungen; sein Fazit ist aufs Ganze gesehen zwar negativ, gleichgültig aber läßt ihn die Lektüre nicht. Fontane erkennt klar Wagners Intention, im Gewand des Mythos menschheitliche Probleme schlechthin zu behandeln, und er spürt, daß dafür die Musik Entscheidendes beizutragen hat. Auch der Schluß, daß Wagner in seinen Gestalten, vor allem in Wotan seine eigene Lebensproblematik darstelle, ist - trotz fehlender Begründung im einzelnen — nicht so falsch, wie es manche Wagnerforscher hinstellen. 21 ’’ Gedankliche Ambitionen einerseits, kompositorisches Geschick und par-
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