Heft 
(1986) 41
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tielles stilistisches Können andererseits werden Wagner durchaus zu­gestanden. Was Fontane dennoch zu einem negativen Urteil bewegt, ist zum einen das Fehlen derAether-Sphäre der Kunst, zum anderen das Verfehlen der selbstgestellten ambitiösen poetisch-philosophischen Auf­gabe. Im ersten Punkt wird ganz offensichtlich die Poetologie derVer­klärung zum Gradmesser für die Bewertung. Was dasgroße Ziel, das Welten-Räthsel und das erlösende Wort angeht, so läuft es nach Fontanes schnoddriger Formulierung auf den ernüchternden Satz hinaus:Vater, koof mirnen Appel wobei unklar bleibe, ob Wagner überhaupt an einen Apfel und nicht eher an einen sauren Hering denke. 30 Ernsthafter formuliert, läßt sich Fontane zufolge der philosophische Gedanke des ,Ring aufzwei ganz gewöhnliche Sätze reduzieren:Satz 1 ist die alte Eva- Geschichte, sündiges Verlangen und die bekannten Consequenzen. Satz 2 hat durch Feuerbach einen viel prägnanteren und viel geistreicheren Ausdruck empfangen: ,Ob Gott die Menschen schuf, ist fraglich, daß sich die Menschen ihren Gott schaffen, ist gewiß.' 31 Damit ist in der Tat der ideelle Kern der Ring-Tetralogie [. ,.] scharfsinnig herausprepariert, wie der Wagner-Forscher Dieter Borchmeyer konzidiert ; 32 die Kritik Fontanes richtet sich darauf, daß Wagner im ,Ring anders als in den ,Meistersingern' an der Doppelaufgabe, beide Sätze poetisch-mytho­logisch miteinander zu verbinden, gescheitert sei. Darüber kann man. streiten, zumal, wenn die eigentliche Leistung Wagners die musik­dramatische Verarbeitung außer acht bleibt; dem nüchtern denkenden Fontane jedenfalls leuchtet die Prägnanz des Feuerbachschen Satzes un­gleich mehr ein als die Wagnersche Privatmythologisierung.

Zwar macht Fontane in den ,Ring-Briefen nicht darauf aufmerksam, wie gut die Rheintöchter des ,Rheingolds' zu den von ihm selbst mit großem Interesse bedachten Melusinen-Figuren passen; in seinem fast gleichzeitig entstehenden Romanentwurf ,Oceane von Parceval' (Jahres­wende 1881/1882) jedoch wird der Bezug Wagners zum Thema des Elementaren deutlich herausstellt. Der Melusine-Komplex dient als Quasimythos zur Poetisierung der Problematik des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft einerseits. Natur und Kunst andererseits; gerade hier und dies wurde in der Forschung bisher nicht beachtet bietet sich Wagner als Modell an. Oceane, die in Dänemark geborene Tochter einer englischen Mutter und eines französischen Vaters, seines Zeichens Spezialist für Wasserbaukunde, wird von Fontane alsmoderne Melusine entworfen, diestatt des Gefühl nur die Sehnsucht nach dem Gefühl hat, als ein Elementargeist, der sich vergeblich insSchön-Menschliche ein­reihen will und dadurch tragisch erscheint. 33 Die Figur des Germanisten Dr. Felgentreu wird - in humoristischer Transponierung - als Antiwag­nerianer mit Wagnerschen Interessen gezeichnet: als Edda-Leser, der aus diesem germanischen Epos seine Anschauungvon der Wirksamkeit des Elementaren auch in der Menschennatur herübergenommen hat, mit anderen Worten als Anhänger des Pantheismus und Naturkultus. 34 Oceane ist - vieleicht aus Not - Schopenhauer-Anhämgerin, sie zieht das Leben in Bildern dem ihr verschlossenen wirklichen Leben vor, hält einruhiges Schauen und Betrachten für einehöhere Lebensform und fühlt sich in

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