tielles stilistisches Können andererseits werden Wagner durchaus zugestanden. Was Fontane dennoch zu einem negativen Urteil bewegt, ist zum einen das Fehlen der „Aether-Sphäre der Kunst“, zum anderen das Verfehlen der selbstgestellten ambitiösen poetisch-philosophischen Aufgabe. Im ersten Punkt wird ganz offensichtlich die Poetologie der „Verklärung“ zum Gradmesser für die Bewertung. Was das „große Ziel, das Welten-Räthsel und das erlösende Wort“ angeht, so läuft es nach Fontanes schnoddriger Formulierung auf den ernüchternden Satz hinaus: „Vater, koof mir ’nen Appel“ — wobei unklar bleibe, ob Wagner überhaupt an einen Apfel und nicht eher an einen sauren Hering denke. 30 Ernsthafter formuliert, läßt sich Fontane zufolge der philosophische Gedanke des ,Ring‘ auf „zwei ganz gewöhnliche Sätze“ reduzieren: „Satz 1 ist die alte Eva- Geschichte, sündiges Verlangen und die bekannten Consequenzen. Satz 2 hat durch Feuerbach einen viel prägnanteren und viel geistreicheren Ausdruck empfangen: ,Ob Gott die Menschen schuf, ist fraglich, daß sich die Menschen ihren Gott schaffen, ist gewiß.'“ 31 Damit ist in der Tat der „ideelle Kern der Ring-Tetralogie [. ,.] scharfsinnig herausprepariert“, wie der Wagner-Forscher Dieter Borchmeyer konzidiert ; 32 die Kritik Fontanes richtet sich darauf, daß Wagner im ,Ring‘ anders als in den ,Meistersingern' an der Doppelaufgabe, beide Sätze poetisch-mythologisch miteinander zu verbinden, gescheitert sei. Darüber kann man. streiten, zumal, wenn die eigentliche Leistung Wagners — die musikdramatische Verarbeitung — außer acht bleibt; dem nüchtern denkenden Fontane jedenfalls leuchtet die Prägnanz des Feuerbachschen Satzes ungleich mehr ein als die Wagnersche Privatmythologisierung.
Zwar macht Fontane in den ,Ring‘-Briefen nicht darauf aufmerksam, wie gut die Rheintöchter des ,Rheingolds' zu den von ihm selbst mit großem Interesse bedachten Melusinen-Figuren passen; in seinem fast gleichzeitig entstehenden Romanentwurf ,Oceane von Parceval' (Jahreswende 1881/1882) jedoch wird der Bezug Wagners zum Thema des Elementaren deutlich herausstellt. Der Melusine-Komplex dient als Quasimythos zur Poetisierung der Problematik des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft einerseits. Natur und Kunst andererseits; gerade hier — und dies wurde in der Forschung bisher nicht beachtet — bietet sich Wagner als Modell an. Oceane, die in Dänemark geborene Tochter einer englischen Mutter und eines französischen Vaters, seines Zeichens Spezialist für Wasserbaukunde, wird von Fontane als „moderne Melusine“ entworfen, die „statt des Gefühl nur die Sehnsucht nach dem Gefühl“ hat, als ein Elementargeist, der sich vergeblich ins „Schön-Menschliche“ einreihen will und dadurch tragisch erscheint. 33 Die Figur des Germanisten Dr. Felgentreu wird - in humoristischer Transponierung - als Antiwagnerianer mit Wagnerschen Interessen gezeichnet: als Edda-Leser, der aus diesem germanischen Epos seine Anschauung „von der Wirksamkeit des Elementaren auch in der Menschennatur“ herübergenommen hat, mit anderen Worten als Anhänger des Pantheismus und Naturkultus. 34 Oceane ist - vieleicht aus Not - Schopenhauer-Anhämgerin, sie zieht das Leben in Bildern dem ihr verschlossenen wirklichen Leben vor, hält ein „ruhiges Schauen und Betrachten“ für eine „höhere Lebensform“ und fühlt sich in
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