in ihrem „amphibialischen Zustand“ am wohlsten. 35 Ihre englische Mutter freilich ist „trotz Wagners tetralogischer Warnung“ auf alles versessen, „was Alberich hütet“. 31 ’ Als man bei einem Spaziergang im Wald an einem katholischen Kruzifix vorbeikommt, wendet sich Oceane vor dieser „Schaustellung“, diesem „Jahrmarktsbildartige[n]‘‘ mit einem Mißbehagen ab. 37 Zugleich fühlt sie sich von der ,,große[n] Lehre vom Blut des Erlösers “ bedrängt: „ ..] mir ist es, als blicke er in meine Seele und frage, wie steht es drin? was tust du? wie folgst du meinem Beispiel? wo bleibt dein Blut?“ 38 Aber die „trennende Kluft“ ist nicht zu überbrücken. Fast könnte man Oceane als einen Gegenentwurf zur Kundry des im selben Jahr uraufgeführten ,Parsifal‘ verstehen: diese ist die Ur-Eva, die sich nach Erlösung vom Fluch der (erotischen) Erbsünde sehnt und sie im Tod erlangt, jene gleichsam die Inkarnation des Elementaren vor dem Sündenfall mit der Sehnsucht nach dem principium individuationis — ohne Fluch, aber auch ohne den Segen der menschlichen Gemeinschaft. Im entscheidenden 5. Kapitel des Romanentwurfs tritt Oceane als Sängerin auf; anschließend diskutiert man über Kunstgeschmack. Oceanes Freund — offenbar Felgentreu — nimmt das Wort: „Eine entzückende Seite in unsrer modernen Kunst ist das Hervorheben des Elementaren. Das Hervorheben seiner ewig sieggewissen Macht über das Individuelle, das Menschliche, das Christliche.“ 39 Von Ausnahmen abgesehen finde man diesen Zug in der klassischen Dichtung nicht; das dort vorkommende Spukhafte, das Gespensterwesen — etwa in Bürgers ,Lenore‘ — stehe dem Menschlichen und Religiösen als „Nachtseite“ der „Lichtseite, die wir Glauben nennen“, viel näher und habe mit dem Elementaren nichts zu tun. Aber in „Wagner (den ich aus mehr als einem Grunde perhorresziere) haben wirs überall“ — an dieser Stelle des Entwurfs sollten offenbar Beispiele eingefügt werden/* 0 Der kritische Wagnerkenner Felgentreu entwirft dann im Scherz eine Theorie der menschlichen Verkörperung des Elementaren, die von Oceane durchaus ernstgenommen wird: „Wenn ich mir gefallen lassen muß, ein Hecht oder ein Karpfen gewesen zu sein, so kann ich auch eine Woge gewesen sein. Es gibt mehr Wogelinden, als Sie glauben, und wer da meint, sie müßten ein laweia singen und wären ein für allemal an einem eialaweia zu erkennen, der irrt sich. Es gibt ihrer, die sehr gescheit zu sprechen wissen und jeden Augenblick ein Buch über die dogmatisch heikelsten Punkte schreiben können. Sie necken sich mit Alberich, aber ich kenne welche, die bei Hillbrich [einem beliebten Berliner Cafe in der Leipziger Straße] die Zeitung lesen.“ 41 Oceane zieht am Ende die Konsequenz aus ihrer Natur: sie taucht als Woge in ihr altes Element zurück.
Auf die Wagner-Anspielungen in den Romanen ,Graf Petöfy* (1883), .Cecile* (1886) und .Unwiederbringlich* (1890) kann ich aus Zeitgründen nicht eingehen. Die Vorliebe des „Musterstüdes einer Bourgeoisie“ Jenny Treibei für ,Lohengrin* und ,Tannhäuser* ist - ähnlich wie Wilibald Schmidts epigonales Lied und dessen litaneihafter Vortrag durch Jenny - als Ausdruck der Trivialisierung von Kunstwerken im Prozeß der bourgeoisen Kommerzialisierung des Kulturbetriebs zu verstehen. Interessante Nuancierungen der Wagner-Anspielung finden sich in Fontanes beiden
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