letzten Romanen, in ,Effi Briest“ und ,Der Stechlin“; davon soll abschließend die Rede sein.
In ,Effi Briest“ (1894) dominieren an den entscheidenden Stellen Heine- Zitate, sie erhalten eine strukturelle Bedeutung, die an die elaborierte Zitierweise Thomas Manns heranreicht. 42 Gleichwohl wird auch Wagner ins Spiel gebracht, und dies keineswegs, wie Hans-Heinrich Reuter unterstellt, nur deshalb, um in der Figur Innstettens Wagners Werk als „Ausdruck eines skrupellos-,männlichen“ Ehr- und Machtstrebens“ zu kritisieren. 43 Effi selbst gehört wenigstens partiell wie fast alle interessanten Frauenfiguren Fontanes in den Umkreis der Melusinenproblematik; sie lebt aus der elementaren Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, auch die Affäre mit Crampas kann diese Sehnsucht nicht stillen. Als sie von Inn- stetten wegen seines Besuchs bei Bismarck in Varzin im Spukhaus zu Kessin alleingelassen wird, stößt sie in einem Reisehandbuch auf einen Abschnitt über die „Eremitage“: „[...] das lockte sie, Bayreuth, Richard Wagner [...] “, 44 Freilich wird Effi sogleich auf den Gegenstand ihrer gesellschaftlich determinierten Angst zurückverwiesen, indem von der „weißen Frau“ die Rede ist: was im erotischen Musikdrama Wagners — vor allem im ,Tannhäuser“ und in ,Tristan und Isolde“, aber auch im .Fliegenden Holländer“ — mächtigen und suggestiven Ausdruck gewinnt, wird hier in der Erzählung vom Chinesen zum „Angstapparat aus Kalkül“. 45 Als im Haus Gieshüblers die gesellschaftlich emanzipierte Trippelli Romantisches zu Gehör bringt, ist darunter neben Heines ,Ritter Olaf“ auch „einiges aus dem ,Fliegenden Holländer““ 46 : man darf vermuten, daß die Sängerin zumindest Sentas Ballade als Zentralstück des Werks nicht ausgelassen hat, in der die Braut des biederen Jägers Erik in somnambuler Gewißheit ihre Erlösungstat für den immer schon sehnsüchtig imaginierten Holländer vorwegnimmt. Jedenfalls ist Effi in Bezug auf Text und Komposition „wie benommen“. Innstetten, der „Wagner-Schwärmer“, bittet Effi gelegentlich, ihm nach der Arbeit aus ,Lohengrin“ oder der ,Walküre“ etwas vorzuspielen. Was ihn zu Wagner geführt hat, ist ungewiß: „einige sagten, seine Nerven, denn so nüchtern er schien, eigentlich war er nervös; andere schoben es auf Wagners Stellung zur Judenfrage. Wahrscheinlich hatten beide recht.“ 47 Damit werden zwei entscheidende Hinweise auf Dominanten der zeitgenössischen europäischen Wagner-Rezeption gegeben: das Stichwort „Nerven“ verweist auf den dekadenten Wagnerismus, der von Frankreich aus auch in Deutschland wirkte; 48 das Stichwort „Judentum“ ist ein Hinweis auf Wagners antijüdische Polemik seit 1850, die vom Antisemitismus der achtziger Jahre bereitwillig als Argumentationsreservoir ausgenützt und in den „Bayreuther Blättern“ seit 1878 in beschämender Weise als Heilslehre verbreitet wurde. Es ist dies übrigens die einzige Stelle, wo Fontane auf Wagners Antisemitismus anspielt. Offenbar begreift er ihn als gesellschaftlichen „Code“, den der karrierebewußte Landrat Innstetten mit vielen seiner Standesgenossen teilt und den auch Bismarck - ohne selbst Antisemit zu sein - aus politischen Gründen gelegentlich virtuos handhabt. Die Vorliebe für ,Lohengrin“ mag bereits ein Vorklang auf Diederich Heßlings reichsbewußte Schwärmerei für dieses Werk in Heinrich Manns