Roman ,Der Untertan“ sein; jedenfalls hat sie damit mehr zu tun als mit Hanno Buddenbrooks und seines Autors Verzückung über die romantische Oper schlechthin. Mit der .Walküre“ wird auf das Romangeschehen selbst vorgedeutet: Innstetten fiele die Rolle Hundings zu, der den (inzestuösen) Ehebruch Sieglindes mit Siegmund unter Mithilfe des normgebundenen Wotan rächt.
In ,Effi Briest“ thematisiert Fontane das Problem der gesellschaftlichen Norm und ihres Verhältnisses zum Elementaren, ein Problem, das in anderer Form eine Dominante vor allem des Wagnerschen ,Ring“ bildet. Entgegen der ausdrücklichen, brieflich bekundeten Intention Fontanes hat man Innstetten als negative Gegenfigur Effis verstanden, während der Autor selbst offenbar alle drei Protagonisten — Innstetten ebenso wie Effi und Crampas — als Opfer von überindividuellen Zwängen verstanden wissen wollte: Innstetten steht unter dem Bann der „preußischen Idee“, des „tyrannisierenden Gesellschafts-Etwas“ 49 , Crampas ist der Don- Juan-Rolle verfallen, Effi schließlich leidet unter dem Zwiespalt, einerseits den Normen der — durchaus anerkannten — Gesellschaft nachkommen zu wollen und andererseits die Sehnsucht nach dem Elementaren in sich nicht unterdrücken zu können. Während Crampas vorwiegend Heine-Zitate zugeordnet werden, sind sowohl Innstetten wie Effi Wagner-Schwärmer, freilich von ganz unterschiedlichen Antrieben aus — Zeichen für die extreme Spannweite des musikdramatischen Werks Wagners.
Mit seinem letzten Roman ,Der Stechlin“ (1897) nimmt Fontane das Melusinen-Thema des ,Oceane‘-Entwurfs wieder auf, führt es allerdings insofern zu einem anderen Ende, als Melusine von Barby im Gegensatz zu Oceane ihre unerfüllte Sehnsucht nach der Integration des Elementaren im menschlichen Leben in soziales Engagement überführt: Eros wird zur Agape. Es ist nur konsequent, daß auch hier in mehrfacher Weise' auf Wagner angespielt wird. Als Woldemar einen Besuch bei den Barbys macht, sind Armgard und Melusine gerade dabei, in die Oper zu gehen
— in ,Tristan und Isolde“. Melusine dämpft sofort mögliche Assoziationen, indem sie die Frage des Bleibens oder Gehens als heikler hinstellt denn die Frage des Gehalts der Oper: das Modell der erotischen Todesverfallen- heit im Zeichen der Nacht wird von vornherein abgewehrt, es findet weder auf Melusine noch auf Armgard und Woldemar Anwendung. 50 Beim nächsten Besuch stößt Woldemar auf die humoristische Figur des Doktor Wrschowitz. Er ist Armgards und Melusines Klavierlehrer, außerdem Komponist und „scharfer Wagnerianer“. 51 Sein Vater, „ein kleiner Kapellmeister an der tschechisch-polnischen Grenze“, war Verehrer des dänischen Komponisten Niels Wilhelm Gade (1817—1890), der in den vierziger Jahren in Leipzig von Mendelssohn und Schumann gefördert wurde und von 1844 bis 1848 neben und nach Mendelssohn Dirigent der Gewandhauskonzerte war: Grund genug für den alten Wrschowitz, den Sohn nach diesem Vorbild zu taufen. Richard Wagner hatte Gade in Dresden 1846 kennengelernt, als dieser seine denkwürdige Aufführung der 9. Symphonie von Beethoven besuchte und mit großem Beifall bedachte. Noch 1855
— beim Besuch Hans Christian Andersens in Zürich — scheint Wagner auf Gade nicht schlecht zu sprechen gewesen zu sein. 52 Im Zuge der
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