lichkeit [. Diese Romantikauffassung hat viel mit dem kritischen
Romantikbegriff Heinrich Heines gemein. Wagner hingegen verleugnet Heine und stützt sich auf Novalis, Friedrich Schlegel und vor allem E. T. A. Hoffmann, der die Idee eines Gesamtkunstwerkes bereits vorgeprägt hat. Die „unendliche Melodie“ Wagners, seine „Kunst des tönenden Schweigens“, das durchgängige Pathos seiner Sprache sind dem rationalen, höchst nuancenreichen Dialogprinzip des Schriftstellers Fontane in keiner Weise verwandt — es sind zwei Welten, trotz des beiderseitigen Interesses für die Probleme des Elementaren und der Kritik am Materialismus der zweiten Jahrhunderthälfte.
Im Sinne der Metaphorik, die den Begriffen „europäisch“ und „deutsch“ bei Th. Mann anhaftet, ist Fontane kein deutscher, sondern ein europäischer Autor. Audi wenn Thomas Mann im Zusammenhang seines ,Ring‘-Vortrags Fontane nicht ausdrücklich nennt, beginnt in seinem eigenen Werk bereits seit Ende des Ersten Weltkrieges gewissermaßen die „Fontane-Linie“ über die „Wagner-Linie“ zu dominieren. Die „tapfere Modernität“ des alten Fontane, von der Thomas Mann 1910 gesprochen hat, bietet eine bessere Basis zur Bewältigung der Zukunftsprobleme als die Ideologeme des alternden Zukunftsmusikers. Der Skeptiker Fontane behält — so gesehen — recht gegenüber dem „endzeitsüchtigen Anarchisten“ 02 Wagner, auch wenn er den musikalischen Kern seines Werks nie verstanden hat.
Anmerkungen
1 Briet an Emilie Fontane vom 27. Juli 1889. In: Theodor Fontane, Werke, Schriften und Briefe. 2. Aufl. Hrsg. v. Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. München: Hanser 1970 ff. Im folgenden abgekürzt HFA. Hier Bd. IV,3 S. 705 f.
2 Brief an Karl Zöllner vom 19. August 1889, ebd. S. 711-714, hier S. 712 f.
3 Brief an Georg Friedlaender vom 20. August 1889, ebd. S. 715.
4 Ebd. S. 715.
5 Brief an Zöllner (= Anm. 2) S. 713.
6 Hans-Heinrich Reuter: Fontane. - 2 Bde. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1968. S. 718 f.
7 Vgl. etwa Martin Gregor-Dellin: Richard Wagner. Sein Leben Sein Werk Sein Jahrhundert. - München: Piper 1980. S. 360. - Dieter Borchmeyer: Das Theater Richard Wagners. Idee - Dichtung - Wirkung. - Stuttgart: Reclam 1982. S. 317 ff. und 397 f.
8 Gregor-Dellin, Wagner (= Anm. 7) S. 325 ff.
9 Vgl. Brief an Karl Zöllner vom 13. Juli 1881; HFA IV,3 S. 157 Anm.
10 Theodor Fontane: Sämtliche Werke. — Hrsg. v. Rainer Bachmann, Edgar Groß, Charlotte Jolles, Hermann Kunisch, Jutta Neuendorff-Fürstenau, Kurt Schreinert, Wilhelm Vogt. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1959 ff. Im folgenden abgekürzt NFA. Hier Bd. XXI/2 S. 858.
10a Im September 1984 fand im Haus der Werner-Reimers-Stiftung in Bad Homburg ein von Walter Müller-Seidel organisiertes Fontane-Kolloquium statt (vgl. Heft 39 S. 97-105), bei dem der Vortrag - mit kleinen Abänderungen - ebenfalls gehalten wurde. Im folgenden Sammelband findet sich eine stark erweiterte Fassung.
11 Thomas Mann: Der alte Fontane. - ln: Mann, Schriften und Reden zur Literatur, Kunst und Philosophie. 3 Bde. Frankfurt a. M.: Fischer 1968. (= Moderne Klassiker 113-115). Bd. 1, S. 36-55, hier S. 38.
12 Thomas Mann: Anzeige eines Fontane-Buches. — In: Mann, Schriften (= Anm. 11) Bd. 1, S. 102-110, hier S. 108.
13 Mann, Der alte Fontane (= Anm. 11) S. 54.
14 Thomas Mann: Richard Wagner und der ,Ring des Nibelungen'. - In: Mann, Schriften (= Anm. 11) Bd. 2, S. 231-250, hier S. 248.