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Kuno Fischer in 6 eidelberg.
Handlung, welche die Fabel erzählt, von der epischen und dramatischen? Wie unterscheiden sich krast ihrer natürlichen Bedingungen die bildende und dichtende Kunst, Malerei und Poesie? Das sind die Fragen, die Lessing, immer weiter und tiefer eindringend, in seinen Abhandlungen über Fabel und Sinngedicht, in seinem Laokoon und der Dramaturgie zu lösen unternahm, nicht etwa durch vorgeschriebene Regeln, sondern so, daß aus der Entstehung des Werks, d. h. aus seiner naturgemäßen Production, die Regel hervorging und sich ergab, wie aus der Construction des Kreises die Definition dieser Große.
Und nicht blos das Gebiet der Kunst und Kuustlehre hat uns Lessing aus diesem Wege und nach dieser Richtschnur kritisch erleuchtet, ihn bewegten auch die religiösen und theologischen Probleme, die der Predigerssohn aus Kamenz als väterliches Erbtheil in sich trug und die ihm stets wichtig geblieben waren. Auch hier trieb ihn sein Forschnngsgeist nach der Quelle und dem Ursprünge des religiösen Lebens, die er zuletzt in den Tiefen der menschlichen Natur selbst ergründen mußte. Er hatte (in der Breslauer Zeit) die Entstehung der Kirchenlehre in ihren Quellen, den Kirchenvätern, studirt, er drang weiter bis zu den ersten Glaubensurkünden der christlichen Religion und suchte durch eine einfache und fruchtbare Hypothese, die ein Denkmal der Forschung geblieben ist, die geschichtliche Entstehung der Evangelien zu erklären. Aber der Glaube ist früher als die Glaubensurkünde, die Religion früher als die Bibel, die aus ihr hervorgeht, der religiöse Glaube früher als der Schriftglaube, auf dem die lutherische Orthodoxie, als ihrem letzten Fundament, stand und stehen bleiben wollte. Hier entzündete sich der Streit zwischen Lessing und dem Hamburger Pastor Goeze. Das alte Testament ist früher als das neue, die jüdische Religion früher als die christliche, und das religiöse Bedürfniß der Menschennatur, die ungeschriebene Religion des Herzens, früher als die schriftlichen Osfenbarungsurkunden, als die geschichtlichen und positiven Formen der in der Welt herrschenden Religionen. Die letzte und tiefste Frage that sich aus: worin besteht das Wesen der Religion und ihrer Geschichte? Wie verhält sich die Religion zu den Religionen? Diese können nichts anderes sein als die fortschreitende Ausbildung und Entwicklung der wahren Religion, als die allmählich fortschreitende Erziehung der Menschheit nach einem göttlichen Weltplan. Den Gedanken auszuführen, schrieb Lessing eine seiner tiefsinnigsten Schriften, die letzte, die er herausgab: „Die Erziehung des Menschengeschlechts". Um aber der Welt in der ergreifendsten und populärsten Form zu sagen, was er unter Religion und religiöser Erziehung verstehe, betrat er zum letzten Mal seine alte Kanzel, das Theater, und vollendete „Nathan den Weisen".
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Dieser große Literator und Kritiker wäre nie der Reformator unserer Poesie geworden, wäre er nicht selbst ein Poet gewesen, der die eindringende