Heft 
(1880) 38
Seite
218
Einzelbild herunterladen

2s8 - Runs Fischer in Heidelberg. -

noch irre werden, aber wer zweifelt an einer Fabel? Ich erwähne nur ein Beispiel, das größte und bewunderungswürdigste dieser Art. Die umfassenden und schwierigen Untersuchungen über das Verhältniß zwischen Religion und Bibel, Schriftglaube und Kritik, Orthodoxie und Aufklärung, das Problem und die Lösung, um die es sich hier handelt, erzählt Lessing spielend und in jedem Zuge treffend, so kurz und so lebendig als möglich in jener unvergleichlichenParabel", womit er den Streit wider Goeze eröffnet: der alte Königspalast, an dem Jahrhunderte gebaut haben, mit seiner seltsamen und regellosen, aber bequemen und dauerhaften Architektur; einige Gemächer darin, die vornehmsten, von oben erleuchtet, die alten Grundrisse, die ver­meintlichen Architekturkenner, die jede Beleuchtung der Grundrisse für Mord­brennerei ausgeben; da entsteht plötzlich um Mitternacht Feuerlärm, jene ver­meintlichen Kenner denken nicht an die Rettung des Palastes, nur an die der Grundrisse, laufen damit auf die Straße und suchen streitend auf dem Papier die Stelle, wo der Palast brennt, der zu Grunde gegangen wäre, wenn er- gebrannt hätte, aber sie hatten ein Nordlicht für eine Fenersbruust gehalten!

Ich wollte nur andeuten, wie sich in Lessings Schreibart die Vermögen des Epigrammatisten, des Fabeldichters, des dramatischen Poeten, des gelehrten kritischen und philosophischen Denkers vereinigen mußten, um jenen unver­gleichlichen Stilisten zu erzeugen, der eben so mustergiltig bleibt als unerreichbar. Solche Kräfte, deren jede durch ihre Vereinigung mit den anderen gesteigert wird, sind berufen zu kämpfen und polemisch zu wirken: da sie siegreich und stets überlegen find, müssen sie streitlustig sein; sie sind sichere und unwiderstehliche Waffen durch die Sache, der sie dienen, nicht Theatcrkünste, die blenden, wie Goeze seinem Gegner vorwarf. In Lessings Antwort hören wir den Schriftsteller, den wir geschildert haben:Wielächerlich, die Tiefe einer Wunde nicht dem scharfen, sondern dem blanken Schwerte zufchreiben! Wie lächerlich also auch, die Ueberlegenheit, welche die Wahrheit einem Gegner über uns giebt, einem blendenden Stile desselben zuschreiben! Ich kenne keinen blendenden Stil, der seinen Glanz nicht von der Wahrheit mehr oder weniger entlehnt. Wahrheit allein gibt cchteu Glanz. Also von der, von der Wahrheit lassen Sie uns reden und nicht vom Stil".

So sind wir durch Lessing selbst auf das Thema zurückgewiesen, von dem diese Darstellung seiner reformatorifchen Bedeutung in der deutschen Literatur zu handeln hatte. Denn die Herstellung der Wahrheit in unserem Denken und Dichten war die Aufgabe und das Werk seines Lebens. Die beiden größeren Dichter, die ihm gefolgt sind, haben, eingedenk seiner Kämpfe und Siege, Lessing als den Achilles der deutschen Literatur gepriesen: Vormals im Leben ehrten wir dich wie einen der Götter,

Nun du todt bist, so herrscht über die Geister dein Geist!