Eine Winterreise an den Königssee. -- 227
Bis unser Mahl gerüstet war, ließ sich noch leicht der kurze Weg zum Obersee erreichen. Es ist dies ein kleines smaragdgrünes Becken, das einst mit dem Königssee zusammenhing, bis die furchtbaren Felsenstürze den Seegrund füllten und einen schmalen Streifen Lands zwischen beiden Gewässern bildeten. Noch jetzt zeugen die steinernen Blöcke, die hier zerstreut sind, von der Gewaltthat jener fernen Jahrtausende, und reizvoll ist der schmale Fußsteig, der sich im Sommer zwischen grünem Riedgras, Alpenrosen und niederem Krummholz hinzieht. Heute freilich war jeder Weg verschwunden unter fußhohem Schnee und bis an die Hüfte Versinkend kämpften wir uns. durch; Schritt um Schritt.
Endlich war auch das Ufer des Obersees erreicht, eine zerklüftete uralte Esche, die ihre Wurzel mühsam durch das Steingeröll gezwungen, steht am Strande, unter ihrem Gezweig sieht man am herrlichsten hinaus auf diese Wildniß. Der See ist klein, senkrechte Felsenwände auf drei Seiten, und an den Felsen sind die brausenden Wasserfälle zu blauein Eis erstarrt. Eine einsame Almhütte liegt gegenüber, „die Fischunkel" genannt, die Gipfel aber die sich hier erheben, reichen fast bis in die Welten ewigen Schnees. Sie bauen sich stufenweise empor; hoch droben liegen Grünsee, Funtensee und Teufelsmühle; noch höher das steinerne Meer, wo der Pfiff der Mnrmel- thiere aus den Klüften gellt und das „Blümbachthor", jene Felsenscharte, durch die der Fußsteig in's Pinzgau hinüberführt.
„Da droben im Blümbachthor sind zwei Wildschützen eingeschneit" sprach einer der Schiffer, der uns gefolgt war; „sie sind von der Tiroler Seite heraufgestiegen, im October eh' der erste große Schneesturm kam, und seitdem noch nicht zurückgekehrt". Und dabei zuckte er gelassen die Schultern, — im Frühjahr wird man wohl die Leichen finden. Wir sahen empor, sonnenhell lag das prächtige Felsenthor da droben, ihr verschwiegenes Grab!
Der Obersee war schon bei Zeiten zugesroren und hatte nicht mehr die ursprüngliche Farbe, sondern in mächtigen Blnmenbüscheln hatte sich der Reif darauf gesetzt, aber auch diese waren in den mannigfaltigsten und feinsten Formen krystallisirt. Selbst wo sie erstarrt, ist die Natur noch schön und vollendet, das würde erst der vollkommen verstehen, der diese Formen unter dem Mikroskop betrachten könnte. Hier zeigt sich ja der wundersame Gegensatz am schärfsten: Alles, was Menschenhand geschaffen, wird in der Vergrößerung rauh und plump, und Alles, was die Natur schuf, wird um so reicher und vollendeter, je größer wir es erblicken.
Nach solchem mühevollen Gang mundet ein ehrlich Mahl wohl doppelt. Und weiß Gott, so eine mächtige Schüssel, von stämmigen Armen auf den Tisch gesetzt, hat auch ihre Poesie; das Herz ist wohl von Schönheit gesättigt aber davon versteht ja der Magen nichts! Wie stattlich sieht so eine Platte aus mit den Prächtigen geringelten Fischen, von denen der heiße Dampf noch vom Sude emporstieg, wie köstlich ist des Wildprets herber Duft und selbst der berühmte „Kaiserschmarrn" wurde jubelnd begrüßt! Die Sonne schien uns