Heft 
(1880) 38
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Karl Ltieler in München.

Salzburgs auf, der alten Römerstadt, auf deren Tempel und Hallen er auch einst herabgeschaut, ans seinem Marmor waren ihre Götterbilder ge­bildet, und er sah es gelassen, wie die Heruler kamen und sie zerschlugen und die Fluthen der Völkerwanderung und wie man aus den Trümmern des Jupiter und der Aphrodite die Steine meißelte zur ersten Kirche. Er sah den Kaiser des Frankenreiches, den schicksalreichen Erben des korsischen Fluches, als er im Jahre 1867 mit feenhafter Pracht hier eiuzog, und den Schöpfer des neuen deutschen Reiches, der die Macht von jenem zerschmetterte bei Sedan und der im schlichten offenen Wagen hier vorüberfuhr auf der Straße iu's Gasteinerthal. Der alte Untersberg, das sagenhafte Schatzgewölbe der deutschen Kaiserkrone, grüßte in der Morgensonue den neuen deutschen Kaiser!

So ging's mir durch die Seele auf der flüchtigen Fahrt, traumhaft und fieberhaft, denn solche Vollmondnacht ist wie eine Zauberlampe, die die Gestalten von Jahrtausenden in enges Nebeneinander zwingt und den geistigen Blick geheimnißvoll erschließt, während vor dem Auge die wirklichen Formen verschwimmen. Und wieder klang das Helle Posthorn, näher und näher kamen die Lichter, mondduftig sah die hohe Veste herab, bald flogen wir in scharfer Wendung durch die Gasse. Sausend gings um die Ecke, ein letzter Ruck und wir hielten still vor einem jener Paläste, den die deutsche SpracheHotel" nennt;diese großen Fremdenfallen" nennt sie Paul Heyse in einem seiner Lieder.

Zu solcher Winterzeit ist man stets willkommen, vor allem wenn man mit Extrapost vor's Haus fährt und so öffnete denn auch der frackgeschwänzte Kellner ehrfurchtsvoll den Saal und harrte weiterer Befehle.

Wer soviel Stimmung eingesogen, wer so mit jagenden Gedanken fuhr, der muß wieder zurück in die volle derbe Wirklichkeit des Lebens. Es war acht Uhr Abends; um drei Uhr Nachts ging unser Zug nach München, und wenn wir auch als Schwärmer gern noch einen Gang durch die mondhellen Straßen wagen, für den Rest der Zeit gab's doch nur ein einziges Mittel, das war tüchtiges Bankettiren. Wir waren aus guter alter Schule von Studententagen her und das Geheimniß, das den Wein würzte, war die Jugend jene Jugend, die man erst voll empfinden lernt, wenn die ganz jungen Jahre vergangen sind. Wieviel Herz und Welt wacht auf in solchen Stunden!

Es ist die höchste Zeit", sprach der verschlafene Kellner achselzuckend, als wir uns kurz vor drei erhoben; schlummertrunkene Gestalten wankten auf dem Bahnhof hin und her, und eintönig heiser klang das Wort: Einsteigen nach Freilassing, Teisendorf, Rosenheim, München. Wir stiegen ein, die Luft schien seltsam weich geworden in den wenigen Stunden, und als der Zug im Rollen war, legten wir uns auf's Kissen und schliefen den Schlaf der Gerechten.

Die Billete nach München" rief eine rauhe Stimme, die uns erweckte; wir fuhren auf und klatschender Regen schlug an die Fenster, grau lag der Himmel vor uns, und melancholisch starrten die dicken Frauenthürme