—-— Line winterreise an den Rönigssee. -— 23^
In gigantischer Herrlichkeit überragt Untersberg hier die Straße; von dem nächtigen Himmel hoben sich geheimnißvoll seine geisterweißen Felsen, in den rothen Adern und Klüften aber ruht jener köstliche Marmor, aus dem so mancher alte Dom seine Säulen nahm.
Es sind Splitter, die aus dieser Einsamkeit hinausgeflogen in die große Welt; aber sie konnten nichts von der geheimnißvollen Schönheit hinwegtragen, die im Dust der Sage hier waltet.
Tenn schon in uralter Zeit nahm diese Pracht das Kindergemüth der Menschheit gefangen; „Udensberg", „Wodansberg" ist der ursprüngliche Name des Gipfels und lange dämmerte im Volk der Glaube nach, daß sich die alten Götter in's Innere der Berge geflüchtet; Schatzkönig Laurin lebt in den güldenen Kohlen fort, die mancher, der nur Kräuter suchte, hier gefunden und wenn es drinnen klingt und rollt — das ist das Spiel der Himmlischen mit goldenen Kugeln und Würfeln. Auch geheime Wahrsagung geht vom Untersberge aus, denn wenn Krieg über das Land zieht, dann sieht man gespenstige Ritter in seiner Umgebung reiten mit feurigem Harnisch und Speer, — sie nahen und jäh sind Roß und Reiter wieder verschwunden.
Aber die Krone der Sagen bleibt doch Kaiser Karl, der große unvergeßliche Volksheld, der im Untersberg rastet, bis die letzten Dinge kommen und die Riesenschlacht geschlagen wird in der Ebene vor Juvavium. Dann wird der Kaiser heraustreten und zum Zeichen des eröffneten Gerichtes seinen Schild an den Baum auf der Walserhaide hängen und Blut wird fließen in jener Schlacht, daß man den hohen Staufen darein versenken könnte*).
Der Birnbaum auf der Walserhaide liegt zwischen Salzburg und Reichenhall, man sah ihn von der Straße aus im Felde stehen. Der Stamm, der schon dreimal umgehauen, und dreimal wieder erblüht war, hatte einmal bereits einen Meter im Durchmesser erreicht; um seine Kraft zu hemmen, und den großen Entscheidungskamps zu vertagen, wurden wiederholt die unteren Zweige verstümmelt. Das Jahr, in dem er zweimal blüht, bringt die Entscheidung; 1847 war er mit Früchten übersäet und immer noch behielt er im Volksmund seine geheimnißvolle Bedeutung, die besonders im großen Jahre 1870 wieder lebendig ward. Zwei Jahre später endlich am 5. Mai 1872 brach er zusammen in einer stürmischen Nacht, nachdem ihm frevelhafte Hände den Stamm zersägt, aber seine prophetische Mission war doch erfüllt, das Kaiserthum, dessen ferner Traum durch seine knorrigen Wipfel rauschte, war zur That geworden!
So fuhren wir dahin an dem mondbeglänzten Untersberg, an diesem. Marmorgrab der deutschen Kaiseridee und in leisem Reigen zogen die Sterne um die verschneite Stirn des geweihten Berges.
Aus den wallenden Nebeln aber stiegen von fern die ersten Dächer
Vgl. Or. Sepp, Altbairischcr Sagenschatz.
Nord und Süd. XIII, 38.
16