Heft 
(1986) 41
Seite
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Die Rezeption der Werke Zolas, Ibsens und Dostojewskis beginnt jedoch früher, und die Autorin greift weit in die Geschichte zurück bis zu den Voraussetzungen und zu den Ursprüngen dieses Prozesses.

Die Begrenzung des Themas, die im Interesse einer gründlichen Analyse wünschenswert ist, wird unausgesprochen vorgenommen: Der Rezeptions­vorgang wird nicht als Aneignung der Werke durch Literaturproduzenten verstanden, sondern als theoretische Auseinandersetzung von naturalisti­schen Literaturkritikern, analog zur Rezeption durch die Rezensenten der großen literarischen Zeitschriften anderer Richtungen, deren Auffassungen als Vergleichsgrundlage dienen. Die produktive Seite des Prozesses, die Umsetzung in ein eigenes Programm der literarischen Erneuerung und

wenn auch nur langsam und selten auf hohem künstlerischem Niveau in eine eigenständige deutsche naturalistische Literatur, bleibt weitgehend außerhalb des Blickfeldes der Autorin. Angesichts der Fülle von Material

die naturalistische Literaturdebatte ist dem Umfang nach fast identisch mit der Auseinandersetzung um die ausländischen Muster befremdet diese Leerstelle, die darauf hinweist, daß das Hauptinteresse der Ver­fasserin nicht der literarischen Entwicklung in Deutschland galt.

Die These, die der Arbeit zugrunde liegt, wird auf der letzten Seite mit­geteilt und als bewiesen angenommen:Für die gesamte Untersuchung läßt sich als Ergebnis festhalten, daß die Bedeutung Ibsens für den deutschen Naturalismus die der anderen Autoren in entscheidender Weise überragt. So wurde Ibsen zur Schlüsselfigur, nicht nur, wie bislang all­gemein gesehen, für die Entwicklung der deutschen Dramatik, sondern zuvor bereits für die Prägung der naturalistischen Theorie in Deutschland, wie für den entsprechenden Literaturbegriff. Demgegenüber tritt die Rezeption der Romane Zolas bedeutungsmäßig zurück; sie wirkten ledig­lich als Anstöße und nicht als Muster und trugen weder inhaltlich noch formal zur entscheidenden Präzisierung der ästhetischen Ziele bei. (S. 194) Dieses Ergebnis verblüfft, da weder die Entwicklung der deutschen Dra­matik oder die Prägung der naturalistischen Theorie noch die Muster­gültigkeit der Romane Zolas erörtert wurde. Die Untersuchung ist viel­mehr auf den Vergleich derinhaltlich-thematischen innovativen Bedeutung (S. 148) Zolas, Ibsens und Dostojewskis für den deutschen Naturalismus orientiert.

Das macht einige Auffälligkeiten der Konzeption verständlich: Die Ibsen-, Zola- und Dostojewski-Rezeption wird nicht als ein äußerst kompliziert strukturierter Prozeß untersucht. Es werden vielmehr drei voneinander isolierte Rezeptionsprozesse analysiert, deren Abgrenzung im realen Kommunikationsvorgang unterstellt wird. Für die Natura­listen hat jedoch die FrageIbsen oder Zola? nicht bestanden (während es andere Alternativen durchaus gab, etwa Zola-Turgeniew bei den Harts). Die Werke beider Autoren (Dostojewski spielte eine viel geringere Rolle) wirkten auf die jungen deutschen Literaten als Ereignis (S. 2). Ihre Werke, wie auch diejenigen von Tolstoi, Strindberg, Daudet und vielen anderen ausländischen Autoren wurden von den oppositionellen deutschen Schriftstellern auf Anregungen, Muster, Vorbilder und Identiftkations-

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