Heft 
(1880) 42
Seite
281
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Der schöne Lhecco.

Novelle

von

tzanF Goffmann.

Stettin.

urch die engen und doch so Hellen, sonnigen Gassen von Anacapri zog die Frohnleichnamsprocession. Das Städtchen liegt auf halber Höhe des mächtigen Monte Solaro inmitten einer sanft geneigten, fruchtbaren, reich bebauten Ebene, in Orangengärten, Oel- und Weinpflanzungen reizend gebettet, weltfern und ruhevoll wie kaum ein anderes: ein breiter Meeresarm trennt die Insel vom Festlande, und strenger und schärfer noch scheidet der jäheste Felsenabsturz das obere Gelände von der Schwesterstadt Capri und nicht minder vom Meere selbst. Man wandelt hier wie in pompejanischen Gassen: hohe weiße Mauern trennen die Gärten und die Häuser mit den leichtgewölbten Dächern und den rebumschlungenen Veranden und Säulengängen von der Außenwelt; das gleichmäßige, friedliche Leben des harmlosen Völkchens vollzieht sich drinnen beim Webstuhl und den Gemüsebeeten oder vor dem Dorfe in Vignen und Olivenseldern; auf der Straße ist es still und einsam an gewöhnlichen Tagen.

Heut aber waltete das heiterste, festlichste Treiben auf Markt und Gassen, rauschende Musik nicht ohne tüchtiges, lärmvolles Knallen von Sprengkörpern regte die Herzen immer freudiger auf, und in lustiger buntfarbiger Feierlichkeit durchwogte die große Procession das reichgeschmückte Städtchen. Leuchtende Farben, frisches Grün nnd Blumen gab es überall, und doppelt fröhlich prangte das alles auf dem weißen, sonnbeglänzten Hintergründe. Im Festzuge gingen meist Frauen und Kinder, denn ein großer Theil der männlichen Jugend war längst draußen auf dem Meere zum Korallenfischen an den afrikanischen oder sardinischen Küsten; umso freundlicher und farbensrischer war der Anblick der beweglichen Schaar.

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