Heft 
(1990) 49
Seite
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nisfülle, Leidenschaft, das Heroische, Gestaltungskraft, Phantasie, psycholo­gische Tiefe, Verbindung von realistischer Darstellung und Ideen, Ideal- Realismus, Neigung zum Mystischen, die deutschen Stürmer-und-Dränger (Goethe) und die französischen (Zola), skandinavischen (Ibsen, Björnson) oder russischen (Dostojewski, Tolstoi) Realisten.' 2 Auch wenn Fontane als hervor­ragender Realist der älteren Generation in Deutschland betrachtet wird, man­gelt es ihm nach diesen Kritikern der naturalistischen Generation an dichte­rischer Größe und revolutionärer Substanz. 13

Statt den RomanQuitt" so objektiv und genau (differenziert) wie möglich (soweit es in einer Rezension möglich* ist) zu analysieren bzw. zu interpre­tieren, prüft der Rezensent K. Z. (Heinrich oder Julius Hart), ob bestimmte Eigenschaften, die er offenbar von einem großen Dichter verlangt und durch literarische Vergleiche (hier mit Goethe und Dostojewski) veranschaulicht, in dem Werk vorhanden sind. Kein Wunder also, daß der Kritiker Fontane nur in begrenztem Sinne (d. h. nur in dernüchternen" Beobachtungsgabe und Menschen- und Landschaftsdarstellung) als realistischen Dichter anerkennt, daß eretwas vom Geiste der Lessing'schen Kunst" in FontanesStil" findet und daß er das Zitat aus dem Roman, mit dem er seine Rezension einleitet, nicht im Textzusammenhang, sondern alsSelbsterkenntnis und Selbstbeurteilung" des preußischen" Dichters Fontane interpretiert.

Die neuentdeckteQuitt"-Kritik von einem der Gebrüder Hart, die nun wesent­lich zum Verständnis des bisher nur lückenhaft kommentierten Briefes vom 15. April 1891 an Hans Hertz beiträgt, 14 ist im Zusammenhang mit der zeit­genössischen Rezeption Fontanes, 15 aber auch Lessings, Goethes und Dosto­jewskis durch die deutschen Naturalisten von Bedeutung. Aus Platzgründen muß aber hier auf eine ausführliche Analyse dieser Zusammenhänge verzichtet werden; Ansätze hierzu finden sich in den weiteren, z. T. exkursartigen An­merkungen zum Text der im folgenden vollständig zitierten Rezension über Quitt":

,Ueber allen deutschen und namentlich über allen preußischen Büchern, auch wenn sie sich von aller Politik fern halten, weht ein königlich preußischer Geist, eine königlich preußische privilegirte Luft; etwas Mittelalterliches spukt auch in den besten und freiesten nach, und von der Gleichheit der Menschen oder auch nur von der Erziehung des Menschen zum Freiheitsideal statt zum Unter- than und Soldaten ist wenig die Rede.' 16 Diese Worte aus Fontane's neuestem Roman enthalten auch ein gut Stück Selbsterkenntniß und Selbstbeurteilung. 17 Die ganze Fontane'sche Dichtung hat etwas Straffes und Ordnungsmäßiges, etwas Preußisch-Zugeknöpftes, in Gamaschen steckendes, sowohl in ihrem allgemeingeistigen, in ihrem Weltanschauungs-, wie in ihrem künstlerischen Inhalt. 18 Der Realismus in unserer Literatur bedeutet auch in mancherlei Hin­sicht eine Beeinflussung unseres geistigen Lebens, unseres Denkens und Empfindens durch das Preußenthum. Die Beobachtung, welche sich streng am wirklich Gesehenen hält, verdrängt die freier die Dinge ausgestaltende Phan­tasie, das Anschauliche erhebt sich über das Empfindende, und es liegt auch ein gewisser praktischer Sinn darin, daß man am Nächsten und Engsten sich genügen läßt und Furcht empfindet vor einem freieren Geistesflug in die Welt der höchsten und allgemeinsten Menschheitsideale. Auch Fontane geht in diesem Roman der Darstellung tiefer leidenschaftlicher Erregung, überhaupt

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