Rezension nicht bemerkt zu haben, sie kann aber als ein weiterer Beleg für die negative Rezeption Lessings durch die deutschen Naturalisten betrachtet werden.
20 Gemeint ist hier natürlich vor allem die Jugend (Sturm-und-Drang)-Lyrik Goethes; vgl. hierzu
z B die „Kritischen Waffengänge" der Gebrüder Hart (s. H. 1 u. 3/1882), Conrad und Bleibtreu’ in der „Gesellschaft" (s. Bd. 1/1885, Bd. 3/1887. Bd. 5/1889) sowie Bleibtreus „Revolution der Litteratur," S. 53. Diese Naturalisten wenden'sich sonst gegen die Überschätzung Goethes, vornehmlich seines klassischen Alterswerkes. Zur Rezeption Goethes vgl. auch Maurer (1972), S. 76-95 u. S. 96-126. . # L n . ,
21 Zur zeitgenösischen Rezeption Dostojewskis (1821—81) in Deutschland vgl. bes. „Russische Literatur in Deutschland. Texte zur Rezeption von den Achtziger Jahren bis zur Jahrhundertwende " Hrsg v. Sigfrid Hoefert, Tübingen; Niemeyer 1974 (Deutsche Texte 32). Die 1880er Jahre bezeichnet Hoefert (s. Einleitung, bes. S. X bis XVIII) als „Dostojewski-Phase" der Rezeption der russischen Literatur in Deutschland; in dieser Phase ging es vor allem um die Aufnahme von Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne" (1866), der 1882 in deutscher Übersetzung (u. d. T. „Raskolnikow") bei W. Friedrich in Leipzig erschien. Dieser Roman wurde nicht nur als wichtiges Dokument für die Beturteilung des russischen Volkscharakters und der sozialen Mißstände in Rußland gesehen, sondern auch als meisterhafte Analyse des Verbrechens und des Sühnebedarfs gepriesen; in diesem Zusammenhang weist Hoefert auf (u. a.) das Vorwort zur 3. Aufl. (1887) von Bleibtreus „Revolution der Litteratur" hin, wo prophezeit wird, daß „der große eigentliche Roman des Realismus" aus einer Mischung von Elementen von Zolas „Germinal" (1885) und Dostojewskis „Raskolnikow" hervorgehen würde (und für diese zwei Autoren trat „Die „Gesellschaft" besonders ein; vgl. Braakenburg, S. 143). Die Aufnahme von „Raskolnikow" umfaßte nach Hoefert verschiedene Stadien: Reklame. Publikation, Rezension, kritische Stellungnahme und Publikums-Echo, Interpretation und Einfluß auf die künstlerische Entwicklung im Aufnahmeland (zum zeitgenössischen Mörderthema vgl. auch Hanstein, S. 225/26; zum Denkschema von „Verbrechen und Strafe" vgl. Walter Müller- Seidel, „Theodor Fontane. Soziate Romankunst in Deutschland," Stuttgart: Metzler 1975, Kap. IV). Hier geht es um ein weiteres Stadium dieser Rezeption, nämlich um die Rezeption von Dostojewskis Roman in der deutschen Kritik zeitgenössischer deutscher Literatur. Im August 1890 erschien die 3., wohlfeile Auflage des „Raskolnikow'-Romans (vgl. hierzu die ganzseitige Reklame in der August-Nummer der „Gesellschaft, Bd. 6/2; in dieser Reklame werden kritische Urteile aus vielen Zeitungen zitiert, u. a. lobende Worte in der „Täglichen Rundschau" von Friedrich von Bodenstedt, der von 1881 bis 1888 Herausgeber dieser Zeitung war) ; am 23. August wurde eine Dramatisierung dieses Romans von Eugen Zabel und Ernst Koppel im Leipziger Stadttheater uraufgeführt; nach diesem Theatererfolg fand am 29. November 1890 die Berliner Aufführung (mit Josef Kainz als Raskolnikow) im Lessing-Theater statt. Trotz Reklame und Publikumserfolg wurde diese Dramatisierung von der älteren (z. B. Karl Frenzei in der „Deutschen Rundschau" vom Januar 1891, Bd. 66, S. 130/31) und jüngeren (z. B. Hans Merian in der „Gesellschaft" vom Oktober 1890, Bd. 6/2, S. 1522—33; Otto Brahm in der „Freien Bühne für modernes Leben" vom 3. Dezember 1890 [Kraus-Reprint 1970],
5. 1158/59) Kritikergeneration völlig abgelehnt (vgl. hierzu auch Ernst Hauswedell, „Die Kenntnis von Dostoewsky und seinem Werke im deutschen Naturalismus und der Einfluß seines .Raskolnikoff' auf die Epoche von 1880—1895," Diss. München 1924, bes. S. 67—73). Die Buchausgabe von „Quitt" erschien, wie schon eingangs erwähnt, Ende November 1890; soweit bekannt, erschien die erste professionelle Rezension (von Paul Schlenther) am 21. Dezember in der Sonntagsbeilage der „Vossischen Zeitung" (vgl. Aufbau-Ausgabe, Bd. 5, S. 624). Aber schon am 6. Dezember hatte Fritz Mauthner bei Gelegenheit einer Sammelrezension über (u. a. Berliner Theateraufführungen) die Dramatisierung des „Raskolnikow"-Romans ausführlich Reklame für die Buchausgabe von „Quitt" gemacht (vgl. „Deutschland", Jg. 2, Nr. 10 vom
6. Dezember 1890, S. 134; neuentdeckt u. zit. in ..Die Briefe Theodor Fontanes an Fritz Mauthner," Hrsg. v. F. Betz u. Jörg Thunecke, in: „Fontane Blätter", H. 39 (19851, S. 36, Anm. 378). Diese ungewöhnliche Empfehlung kann man auch im Zusammenhang mit der Förderung Fontanescher Dichtung durch die Berliner Zwanglose Gesellschaft (vgl. Anm. 6 oben), der Mauthner seit 1884 angehörte, verstehen (zur neuentdeckten Rezension Mauthners über „Irrungen, Wirrungen" 1888 sowie zum Vorabdruck von „Stine" in „Deutschland" 1890 vgl. ebenfalls Betz/Thunecke, in: „Fontane Blätter," H. 38/1984 u. H. 39/1985). Sonst wird „Quitt" in den schon bekannten Rezensionen von Bruno Wille (in der von Otto Brahm heraus- gegebenen und von Wilhelm Bölsche redigierten „Freien Bühne für modernes Leben" vom 11. (nicht 13.} Februar 1891, Bd. 2, S. 142—44) und Wilhelm Bölsche (in der „Deutschen Rundschau" vom Juli 1891, Bd. 68, bes. S. 151/52), und zwar durchaus positiv, mit Dostojewskis Roman verglichen (vgl, auch Aufbau-Ausgabe, Bd. 5, S. 625/26, 628—30; „Theodor Fontane und Wilhelm Bölsche. Eine Dokumentation," Hrsg. v. Helmut Richter, in: „Fontane Blätter," H. 37 (1984), bes. S. 398—401). Diese positiven Rezensionen von führenden Mitgliedern des Friedrichshagener Dichterkreises (zu dem auch die Gebrüder Hart gehörten) stehen also gerade in dieser Hinsicht im Widerspruch zu der negativen, aus der „Täglichen Rundschau" abgedruckten Kritik in der „Gesellschaft" (vgl. Anm. 15 oben). Sonst ist darauf hinzuweisen, daß Fontane nur auf den Vergleich mit Dostojewski in der Rezension von Wille reagierte: „Das einzig Anzügliche in der Kritik ist der Hohn- und Schreckensaufruf: .Dostojewski und Fontane'. Ich schrieb an Brahm, es klänge etwa wie: ,Egmont und Jetter'. Natürlich lache ich darüber, ich gönne den Berühmtheiten ihre dickere Berühmtheit und freue mich der Gesundheit und Natürlichkeit meiner Anschauungen. Das habe ich vor der ganzen Blase voraus, und es bedeutet mir die Hauptsache' (Brief an die Tochter vom 17. Februar 1891, zit. nach der Aufbau-Ausgabe, Bd. 5, S. 626).
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