22 Der Rezensent bezieht sich hier auf die .Bekehrungsszene“ in Kap. 19 des Romans (vgl. Aufbau-Ausgabe, Bd. 5, bes. S. 406/7) sowie auf das spätere Kommentargespräch des Ehepaares Kaulbars in Kap. 25 (vgl. S. 449/50). Unmittelbar nach diesem Gespräch heißt es aber: „Ja, auf Kaulbars und Frau . . . war die Wirkung der Erweckung nicht allzu groß gewesen, desto größer aber auf Tobias und Ruth. . . . * (S. 450).
Anhang
Vom Büchtertisch.
Unwiederbringlich. Roman von Theodor Fontane., Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz.
.Unter unseren Romanschriftstellern giebt es auch noch einige wirkliche Dichter, — wenige freilich nur, aber das Geschlecht ist doch nicht ganz ausgestorben. Daß dazu Theodor Fontane gehört, braucht nicht erst gesagt zu werden: aber der alte Fontane hat selbst vor den Meisten der Romandichter noch einen Vorzug. Er schreibt nicht seinen zwanzigsten oder dreißigsten Roman. All das vielfache Handwerks- und Geschäftsmäßige, was zuletzt auch in den Büchern unserer meisten wirklichen Poeten hineindringt, liegt ihm völlig fern und kriegt ihn auch wohl nie unter. .Unwiederbringlich' ist ein Roman von der feinsten, vollendetsten Reife. Der ganze Dichter steckt in ihm, mit all seinem Können, mit seiner festen Eigenart. Eine echte Preußenpoesie, stramm, straff und zugeknöpft, wie eine Grenadieruniform. Es liegt etwas Nüchternes, Trockenes über ihr, wie über der märkischen Landschaft, — gewiß: aber wenn man in den Kiefern liegt, und oben durch die harten zerrissenen splittrigen Wipfel geht ein Rauschen und Weben, geheimnißvoll und heimlich, und die Natur ringsum, so wenig Farben, und in ihrer Einfachheit doch so viel Farbe, und Alles in Stimmung versenkt, ein wenig Melancholie, ein wenig herber Trotz, ein wenig Bescheidenheit und so viel Pflichtgefühl in diesen Bäumen, in den Weizenfeldern und den sandigen Wegen, denen ihre Pflicht, zu leben, den Menschen wohlgefällig sein, Brot zu geben und den Verkehr zu ebnen, so schwer gemacht wird: da ist Poesie, unendlich viel Poesie. Auch dieser Roman Fontanes strahlt kein großes mächtiges Geistesleben aus, es leuchtet nicht darin von Rosen und Palmen, nicht von gluthenden Leidenschaften. Aber es ist eine tiefgehende Empfindung in ihm, eine Empfindung, die sich in sich verschließt, gar keine Worte macht, aber aus den Augen redet und dann und wann mit einer unwillkürlichen Bewegung der Hand. Das Ganze wie ein Volkslied, schlicht, grau im Ton, im Ausdruck einfach, fast alltäglich, aber von seiner inneren seelischen Erregung über so viel Bildungspoesie hinausgetragen. Fontane erzählt uns von keinen bedeutenden Menschen, von keinen Großnaturen, was man so gewöhnlich darunter versteht; die geschminkte Größe und die verlogene Bedeutendheit unserer meisten Romanhelden darzustellen, wird er nie in Gefahr kommen. Da ist er der umgekehrte Spielhagen. Wenn er über das .Milieu' hinausgeht, um dieses vielverbrauchte moderne Kritikerwort anzuwenden, dann sinds doch nicht Menschen von
großer Intelligenz, sondern von starkem Charakter, denen er dann gern ein etwas reges Geistesleben zuweist, wie ein starkes Empfinden mit allerhand Kleinlichem mischt. So die Heldin seines jüngsten Romans. Damit malt er uns keine Schillerschen Ideale, aber Gestalten, die alle etwas ungemein Nahes an sich haben, Vertrautes, überzeugendste Lebenswahrheit, die Alltagslebenswahrheit, vor der die große Kunst der ersten Meister vielfach flieht und welche der werthvollste, größte Schatz der Kleinkunst ist. Und Fontane ist eine Künstlernatur durch und durch, eine echt künstlerische Naivetät. Er kümmert sich den Teufel um Tendenzen und Ideen, und Alles um Gestaltung, nur um Gestaltung. Im Grunde steht er auf dem Standpunkt des l'art pour l'art. Wie in der Ballade von Joachim Hans von Zieten, so in dem Roman .Unwiederbringlich' steckt das ganze Alphabet der naturalistischen Kunst, ein Naturalismus, der weder einen Häßlichkeitskultus kennt, noch einen Schönheitskultus, mit den Vorzügen und den Mängeln, die im Wesen des Stils, jeden Stils, jeden Kunstwerks liegen. Das Wichtigste ist immer der innere Organismus. Die Fabel des Romans ist von höchster Knappheit, schlichtester Einfachheit. Doch läßt sie sich nicht kurz in zwei Sätzen wiedergeben, weil die Charaktere der Handelnden das Wichtigste sind und deren Schilderung weitläufiger werden müßte. Eine Ehegeschichte: Sie - voller Fertigkeit, eine geschlossene Natur, voll ernster aber schweigsamer Liebe. Er - an Charakter und Geist ihr nicht gewachsen, halb in allem Empfinden Nur macht sie ihre Ueberlegenheit etwas zu geltend, und es fehlt ihrer Liebe die Liebenswürdigkeit. Nach jahrelangem Zusammensein fängt das Joch an ihn zu drücken; fern von der,Gattin, am dänischen Hof, verstrickt er sich in die Netze einer, sagen wir kurz, Kokette, und er laßt sich scheiden, ohne damit die Hand der neuen Geliebten zu erringen, die das Gfnze nur für ein leichtes Spiel ansah. Noch einmal vereinigen sich die Getrennten, aber das Gluck kehrt damit nicht zurück. Sie kann die einmal geschlagene Wunde nicht mehr verschmerzen und geht ins Wasser. Das Wie der Erzählung ist ein ganz merkwürdiges; obwohl das Ganze eine Liebesgeschichte, so sieht man doch eigentlich nichts von Liebesszenen. Fontane machts umgekehrt, wie die meisten Poeten. In der Wirklichkeit ist bekanntlich auch der Verliebteste etwa nur den sechsten Theil des Tages über der Liebe hingegeben; das andere gehört dem Essen. Trinken, Schlafen, den Berufsgesdiaften. Die meisten Dichter schildern ausschließlich die Stunden der Liebe und kümmern sich nicht um den Berufsmenschen. Fontane stellt den Berufsmenschen in den Vordergrund; mit sorgsamsten Einzelheiten schildert er dänisches Hofleben, als wäre ihm dies die Hauptsache als' wäre er mehr Sittensdnlderer und Kulturgeschichtssehreiber, denn Dichter. Der Hoflenschen 6 '' e ‘* uhrerl ? d ’ e f 1 Geliebte sprechen über alles Mögliche, wie irgend ein Paar beliebiger SwcrstchT' Jhf fernsten Hintergründe sieht man etwas wie ein Gewitter sich ballen.
, h . r S ut - wenn deshalb Einer den größten Theil des Buches - langweilig finden
wurde. Aber m dieser Langweiligkeit steckt außerordentlich viel lebendige Kunst und die schärfste kernigste Charakteristik. Es ist eben eine Langweile, wie ein Weg dur?h märkische Fichten Wer
390