menhängenden Erörterung des Gegenstands ansetzte. Der eitle Egoismus der Berliner erklärte sich ihm nun als ein Erbe, das sie mit den stammverwandten Bewohnern der Mark Brandenburg teilten Der Typus bekam, indem er geschichtlich hergeleitet wurde, auch sozial differenzierte Züge. Hof und Adel, Volk und Kleinbürger sowie das gebildete Bürgertum, das zwischen ihnen seinen Platz einnahm, wurden jetzt auf den Beitrag befragt, den jedes von ihnen zu jenem „Berlinertum" geleistet hatte, das gegen 1830 auf dem ersten Höhepunkt war.
Fontane widersprach der verbreiteten Ansicht, die es auf die Refugies zurückführte. Er schrieb den Löwenanteil am Zustandekommen der „weltbekannte(n) Anschaüungs- und Ausdrucksweise, die sich mit dem Begriffe des richtigen Berliners deckt" 79 , den Hohenzollern und ihren Soldaten zu. Es ging nicht ohne Gewaltsamkeiten und Verklärungen ab, wenn er die pointierte Denk- und Redeweise aus dem Tabakskollegium Friedrich Wilhelms I. und aus der Tafelrunde herleitete, die sein Sohn in Sanssouci hielt, oder wenn er die entlassenen friderizianischen Grenadiere für das zynische, vor nichts zurückschreckende Räsonnieren des Berliner Volks verantwortlich machte. Noch direkter nahm er Lessings „Nathan" für den „berlinisch-jüdischen Geist"'* in Anspruch. Aus diesen Ursprungsquellen habe sich unter Friedrich Wilhelm III. und durch dessen „väterliches Regiment" 81 schließlich das alle Schichten vom König bis zum Schusterjungen durchdringende und vereinende Berlinertum gebildet. Das Bemerkenswerte an dem Aufsatz von 1889 ist der Einstellungswandel, der sich darin abzeichnet. In ihm erscheint die Abwendung vom modernen Berlin zurückgenommen, die Fontane in den fünfziger Jahren vollzogen hatte Gewiß nicht zufällig klingen jetzt auch in der Schilderung des Berlinertums die Erwartungen an, die er an die sozialen Nivellierungstendenzen der Großstadt knüpft. Die Lokalliteratur und der ortsspezifische Witz, die ihre Schlüsselrolle bei der Konstituierung des Phänomens behalten, zeigen sich in freundlichem Licht, und die anspruchsvolle Literatur, in deren Namen er seinerzeit gegen das „Kladderadatschtum" Front gemacht hatte, wird nicht mehr dazu in Gegensatz gebracht, sondern erweist sich an der Geschmacks- und Geistesbildung der Berliner beteiligt.
Was den Berliner Witz betraf, an den sich Fontane hielt, blieb es „(. . .) in Berlin im wesentlichen, wenn auch verfeinert, bei dem Typus, den besonders die letzten 50 Jahre, also die Jahre seit dem Tode Friedrichs des Großen herangebildet hatten. An die Stelle des Witzes von Angely, Beckmann, Glaßbrenner (. . .) trat der Heinrich Heinesche Witz, der, gemeinschaftlich mit den Mephisto- pSftien aus Goethes Faust, alle Klassen, bis weit hinunter, zu durchdringen begann, bis abermals einige Jahre später der politische Witz den literarischen ablöste. Die mit 48 ins Leben tretenden Witzblätter, dazu die das Berliner Leben schildernden Stücke (David Kalisch voran) und schließlich das wohl oder übel immer mehr in Mode kommende, sich aller Tagesereignisse bemächtigende Coupletwesen schufen das, was wir das moderne Berlinertum nennen, ein eigentümliches Etwas, darin sich Übermut und Selbstironie, Charakter und Schwankendheit, Spottsucht und Gutmütigkeit, vor allem aber Kritik und Sentimentalität die Hand reichen, jenes Etwas, das, wie zur Zeit Friedrich Wilhelms III. (nur witziggeschulter und geschmackvoller geworden), auch heute wieder alle Kreise durchdringt, bei hoch und niedrig gleichmäßig zu finden ist
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