und bereits weit über den unmittelbaren Stadtkreis hinaus seine Wirkung äußert" 82 .
Fontane überließ es dem Leser, sich zu fragen, welchen Anteil denn die Literatur seiner Tage am Fortgang dieses Prozesses besaß, den sie ihm zufolge früher so weitgehend mitbestimmt hatte. Ebenso blieb offen, welche Hoffnungen dabei auf das hauptstädtische Publikum zu setzen waren, dessen geschmackliche Läuterung sich ja als eine äußerst einseitige darstellte. Auch dies hatte für Fontane eine vitale Bedeutung, denn seine gelinde ausgedrückt beträchtliche Skepsis gegen das Verhältnis der Berliner zur Kunst war alt und saß tief. Eigentlich traute er ihnen nur den Sinn für Unterhaltung zu. Im Entwurf über den „Berliner Ton" vermißte er noch dieselben Eigenschaften, die er ihnen, zwar mit anderen Worten, schon 1860 einmal abgesprochen hatte: das künstlerische „Urteil", die „Kultivierung des Schönen" und die „Bildung des Herzens" 88 — also kurz gesagt alles, was im höheren Sinne zum Umgang mit den Künsten befähigte.
Man muß wohl ein Zeichen seines grundsätzlichen Umdenkens gegen 1880 darin, sehen, daß er um die gleiche Zeit auch auf diametral entgegengesetzten Positionen anzutreffen war, dann nämlich, wenn es sich um den geeigneten Leserkreis für die Romane und Novellen handelte, mit denen er nunmehr auf den Markt trat. Dann hieß es von Paul Lindaus Monatsschrift „Nord und Süd", die „Grete Minde" und „L'Adultera" im Vorabdruck veröffentlichte, ihr Publikum sei „berlinisch, residenzlich, großstädtisch, eine Sorte Menschen, die mir wichtiger und sympathischer ist als die marlittgesäugte Strickstrumpfmadam in Sachsen und Thüringen" 8 ' 1 . Und von der „Vossischen Zeitung" (die sich wie andere große Blätter ein ständiges Roman-Feuilleton zulegen wollte und ihren Theaterkritiker, der Fontane seit seinem Weggang von der „Kreuzzeitung" 1870 war, gern als Hausnovellisten unter Vertrag genommen hätte) bekannte er: ihr Leserkreis sei für seine Arbeiten „nach Stoff, Anschauung und Behandlung wie geschaffen. Ich werde von jedem meiner Leser verstanden, auch von dem beschränkten und nur halbgebildeten. Dies ist ein ungeheurer Vorteil, dessen ich z. B„ wenn ich für den süddeutschen Hallberger schreibe, ganz und gar verlustig gehe" 8 '. Er dürfte von dieser Einsicht nicht beirrt, sondern eher bestärkt worden sein, als er später den in Österreich-Ungarn spielenden Roman „Graf Petöfy" in Hallbergers „Über Land und Meer" zum Vorabdruck brachte (auf den die Autoren angewiesen waren, weil er besser honoriert wurde als die Buchausgabe, von der allein sich nicht leben ließ). Er hatte gelernt, bei seinen poetischen Vorhaben ebensowohl mit ihrer Verwertbarkeit zu rechnen, die stark von der Publikumsresonanz beeinflußt wurde, wie bei den publizistischen. Dabei war es von Vorteil, daß er einem differenzierten Zeitschriften- und Verlagswesen gegenüberstand, das sich trotz der wachsenden Anziehungskraft der Hauptstadt überwiegend auf die regionalen Zentren verteilte. Die Leipziger „Gartenlaube", die er mit der Kriminalnovelle „Unterm Birnbaum" belieferte, obwohl man dort auf die Romane der Marlitt abonniert war, hatte das höhere Honorar und die Auflagenstarke für sich, die „Deutsche Rundschau", in deren Parnaß ihn Rodenberg erst spät aufnahm, das höhere Ansehen.
Gegen seine Bevorzugung des hauptstädtischen Publikums wollte der überregionale Wirkungskreis, den er sich zunutze machte, nichts besagen. Vielleicht
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