Heft 
(1990) 49
Seite
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was heißt Carriere machen anders als in Berlin leben, und was heißt in Berlin leben anders als Carriere machen. Einige wenige Personen brauchen ihrem Beruf nach die große Stadt, das ist zuzugeben, aber sie sind doch ver­loren, speziell für ihren Beruf verloren, wenn sie nicht die schwere Kunst verstehn, in der großen Stadt zu leben und auch wiederum nicht zu leben. Ad. Menzel ist beispielsweise ein Meister in dieser wie in seiner eigent­lichen Kunst. Gewiß war ihm Berlin eine Notwendigkeit (Menzel 50 Jahre lang in Filehne wäre nicht Menzel mehr), aber wie hat er auch in Berlin gelebt? Von 9 bis 9 ein Einsiedler in seinem Atelier, und dann erst, wenn andre zu Bette gehn, geht er mit seinem Ordensband zu Hof oder mit seinem Klapphut zu Huth. Er war zeitlebens ein Meister in der Kunst der Konzentra­tion und hat deshalb eine Kunst-Carriere gemacht, ohne je ein Carriere- macher gewesen zu sein. Aber das alles ist Ausnahmefall. Als Regel steht es mir fest, die große Stadt macht quick, flink, gewandt, aber sie verflacht und nimmt jedem, der nicht in Zurückgezogenheit in ihr lebt, jede höhere Produk­tionsfähigkeit" 90 .

Von Adolf Menzel sprechend, den er in Huths Weinlokal Potsdamer Straße 139 zu treffen pflegte, sprach Fontane natürlich zugleich von sich.Wie lebe ich denn in der Reichshauptstadt?" erinnerte er seine Frau.Arbeit bis um drei, Mittagbrot, Schlaf, Kaffee, Buch oder Zeitung, Abendspaziergang und Thee. Von 365 Tagen verlaufen 300 nach dieser Vorschrift. Du denkst ,ich wünsche es so'. Das ist aber nicht der Fall; ich dürste nach Umgang, Verkehr, Menschen, aber freilich alles muß danach sein und speziell die Formen haben, die mir gefallen, sonst danke ich für Obst und ziehe die Einsamkeit vor" 91 . Einsamkeit war hier Redeweise, keine Wirklichkeit, Was an geselligem Verkehr, der zeit­weise äußerst lebhaft war, mit den Jahren verlorenging, wurde dem immensen Briefwechsel zugelegt. Aber daß sich Fontane, der das Muster eines urbanen Menschen war, persönlich stark zurückzog, traf zu. Aller Konzilianz ungeachtet, ordnete er im Alter seinen Umgang zunehmend den beruflichen Interessen des freien Schriftstellers, seinen eigenen Erwartungen und nicht zuletzt seinem Selbstwertbewußtsein unter. Er behielt dabei genügend Spielraum, um die letzte aufsehenerregende Wendung seiner an Umschwüngen reichen litera­rischen Karriere vorzunehmen und in enge Fühlung mit einigen Köpfen der naturalistischen Generation zu treten, die sich um ihn bemühten und seine Unterstützung fanden; sein Kritikerkollege Otto Brahm, der zum Leiter der Freien Bühne" wurde, und Gerhart Hauptmann, für dessen Genie er sich mit ganzer Person einsetzte, waren die wichtigsten unter den jüngeren Literaten, die jetzt in die Potsdamer Straße kamen und die drei Treppen zu ihm hinauf­stiegen.

An seiner Lebensweise, zu der die ausgedehnten, arbeitsintensiven Sommer­reisen gehörten, die ihn an die See, in die Mittelgebirge oder ins Bad führten, änderte sich dadurch nichts Grundsätzliches. Man kann diese Lebensweise bis in das Kreuzzeitungsjahrzehnt zurückverfolgen, das er als sein glücklichstes in Erinnerung hatte. Damals war er ans Ziel gelangt und durfte der Mutter versichern, daß seine Status-Probleme gelöst, Literatur und Leben in Über­einstimmung gebracht waren:Viele Jahre lang entschieden ein .verlorner Posten', habe ich jetzt eine Art bürgerliche und gesellschaftliche Stellung, mein anständiges Auskommen, einen Beruf der mich erfreut und mich befriedigt,

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