Heft 
(1990) 49
Seite
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im besonderen lernt man herzlich wenig dazu. Führen mich bestimmte literarische Zwecke in solche Häuser, so nehme ich das Unbequeme nicht bloß geduldig mit in den Kauf, so fühl ich es auch gar nicht; die stündliche Wahrnehmung, daß ich das erreiche, was ich erreichen will, erhält mich bei guter Laune. Ich kriege, wie die Berliner sagen, .meinen Preis heraus'. Fehlen diese Zwecke aber, so krieg ich ihn nicht heraus und ärgere mich, meine Zeit so vertan zu haben" 95 .

Einige Eigenarten der Verfahrensweise, die der Erzähler Fontane anwandte, lassen sich als zweckdienliche Schritte eines Autors interpretieren, der unter solchen Umständen an die Darstellung des wirklichen Lebens ging. Dabei ist an die konstitutive Bedeutung des fremden Berichts und der eigenen Beob­achtung für seine Erzählungen zu denken sowie an das Detail und den Dialog, die seine bevorzugten Mittel zur Herstellung der imaginären Gebilde waren, in denen die preußische Provinz und inmitten davon das Berlin der Bismarck­zeit weiterzuleben scheinen.

Der Bericht der alles sein konnte, eine vertrauliche Mitteilung, ein Memo­irenwerk oder ein Artikel derVossischen Zeitung" machte ihm Hintergründe zugänglich, die unter den Formen gesellschaftlichen Umgangs verborgen lagen, und lieferte ihm die unerhörten Begebenheiten, von denen sie unversehens durchbrochen wurden.Liebesgeschichten, in ihrer schauderösen Ähnlichkeit, haben was Langweiliges, aber der Gesellschaftszustand, das Sittenbildliche, das versteckt und gefährlich Politische, das diese Dinge haben, (...) das ist es, was mich so sehr daran interessiert" 95 . Deshalb benutzte er sie für seine Fabeln. Er verfuhr auf diese Weise gleich in seinen ersten Erzählungen aus der Berliner Gesellschaft; es machte insofern keinen großen Unterschied, daß die Liebesaffäre desSchach von Wuthenow" zu napoleonischer Zeit in die höchsten Regionen des preußischen Ancien regime hineinspielte, während sie sich inL'Adultera" in der großen Bourgeoisie der siebziger Jahre zutrug.

Die Milieu- und Menschenkunde, um solchen Tatsächlichkeiten Gestalt zu geben, war durchaus empirischer Natur. Sie war, wie die ungünstigen Resultate zeigten, wenn er mit einem Werk den heimischen Boden verließ, nicht zu ersetzen, während auf die unerhörte Begebenheit gegebenenfalls verzichtet werden konnte. Er verdankte sie seiner Fähigkeit, Beobachtungen zu machen, zu vergleichen und seiner Neigung, vom Einzelnen aufs Ganze und vom Ganzen wieder aufs Einzelne zu schließen. Anders als durch Beobachtung, Gespräch und Bericht hatte er nicht viel Gelegenheit, sich soziale Sphären verfügbar zu machen, in denen er sich bewegte, ohne persönlich näher in sie verwickelt zu sein. Vielleicht ist diese Erfahrungsweise, bei der ganze Bereiche seinem direkten Einblick entzogen waren, in einer Darstellungsweise wiederzuerken­nen, die das visuelle Erscheinungsbild und das Sprachgebaren in ungewöhn­lichem Maße favorisierte. In der erwähnten Verfügbarkeit sah er das A und O seines Metiers.Wer einen auf den Hochstelzen des Bürokratismus umher­stolzierenden Geheimrat, einen Minister, einen Gymnasialdirektor alten Stils, einen Landbaron, einen Kürassier-Rittmeister in all ihren Eigentümlichkeiten, in ihren guten und schlechten Seiten in aller Wahrheit und Lebendigkeit dar­zustellen versteht, der kann dies nur, nachdem er sie sich zuvor zu eigen gemacht, d. h., sie geistig sich unterworfen hat, und wer diese Herrschaft geübt

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