suchte, indem er sie auf die „gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in Deutschland" überhaupt zurückführte, die er eine miserable nannte: „Es gibt keine andere Erklärung, als man hat keine rechte Achtung vor dem, was ein Dichter vertritt. Kunst ist Spielerei, ist Seiltanzen" 104 . Die soziale Zurücksetzung betraf ihn, wie sich hier bestätigte, existenziell. Deshalb saß sie ihm wie ein Stachel im Fleisch und trieb ihn an, die eigenen Wertvorstellungen, in die er sich hineingelebt hatte, immer radikaler und unverhohlener denjenigen entgegenzustellen, die im preußischen Deutschland den Ton angaben und befolgt wurden. In seiner Sentenz „Die Natur adelt" ist viel davon zusammengefaßt. Und sein Berlin? Er hat es dem wirklichen topographisch so getreu nachgebildet, daß der Leser dieselben Wege abschreiten konnte wie die Figuren, und war doch entsetzt, wenn jemand diese Übereinstimmung mit dem Stadtbild, ohne die er sich beim Schreiben seiner Sache nicht sicher fühlte, bei der Lektüre in den Vordergrund stellte. Auf die Zuverlässigkeit im einzelnen angesprochen, winkte er sowieso ab: „Man muß schon zufrieden sein, wenn wenigstens der Totaleindruck der ist: ,Ja, das ist Leben'" 10 '. Dieser Glaubwürdigkeit kam es zugute, daß sich das Berliner Leben mitsamt seinen gewohnheitsmäßig arrangierten festlichen Gelegenheiten und vereinzelten Katastrophen bei ihm in den vertrauten Formen des Alltags abwickelte. Wenn der Generalstäbler mit dem Bankier bei Tische saß, wenn der Kommerzienrat mit dem Gymnasialprofessor, der Gardeoffizier mit der Näherin, einem Standesgenossen oder der ausgehaltenen Mätresse umging, dann verfügten sie mühelos über eingespielte Konventionen des Verhaltens und des sprachlichen Ausdrucks, die geeignet waren, selbst in Konfliktsituationen die Vorstellung von normalen und geregelten Beziehungen, gewachsenen und dauerhaften Verhältnissen zu bekräftigen.
Soweit der Vordergrund. Er fehlt auch nicht bei den kleinen Leuten der „Mathilde Möhring", die keine sein wollten, oder bei den „Foggenpuhls" des letzten Berliner Romans, einem blutarmen Militäradel, für dessen Erhalt schließlich die bürgerlichen Ehefrauen das meiste taten. Indessen war das große Thema des Autors jener Zeitenwandel, der auch ihn vom alten Preußen zum modernen Berlin geführt hatte. Unterm Anschein des Zuständlichen traten in seinen Erzählungen die Ablösungsvorgänge zutage, die an die Stelle der agrarischen die großstädtischen Verhältnisse setzten, an die Stelle der feudalen die kapitalistischen, der hergebrachten die modernen. Ohne ihr halb schon hinfälliges Standesbewußtsein wären die Poggenpuhls, wo dieser Prozeß am weitesten gediehen war, in der Großgörschenstraße gar nicht mehr aufgefallen, in die sie als Trockenwohner Einzug gehalten hatten. Berlin, auf das jetzt im Gespräch der Figuren schon einmal die Bezeichnung Weltstadt zur Anwendung kam, war namentlich neben der Mark Brandenburg oder der entlegeneren Provinz, die regelmäßig ins Bild hineingenommen wurden, als der Brennpunkt der sozialen und kulturellen Veränderung zu erkennen, welche die preußische Gesellschaft des späteren neunzehnten Jahrhunderts ergriffen hatten. Fontane hielt sich dabei an die sozialen Lebensformen, auf deren Aufstieg und Verfall er aus den Indizien schloß, um ihn durch Anzeichen zu deuten. Ihn berunruhigte die Urfrage nach dem Lebenssinn und dem Lebensglück in einem starren und hierarchischen Gesellschaftsgefüge, das auf jenen in Bewegung geratenen Formen basierte. Die Vision vom Untergang der großen Stadt bedrängte ihn
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