Heft 
(1990) 49
Seite
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Bei der Suche nach zeitgenössischen Aussagen über die Situation früher gewerb­lich orientierter Schuleinrichtungen Berlins bot sich auch die nähere Unter­suchung dieses Zeitabschnittes in Fontanes Leben an.

Fontane selbst hat sich nicht zusammenhängend über seine Berliner Schulzeit geäußert. In seinen autobiographischen Schriften berichtet er nur anekdoten­haft über die Pensionszeit bei seinem Onkel August, über den Besuch der berühmten Berliner Lesecafes, über seine Lehrer, Mitschüler und von einzelnen Unterrichtsfächern. Diese Eindrücke sind von ihm nach über sechzig Jahren wiedergegeben worden; einiges erscheint nebensächlich und verschwommen sowie unter der Sicht seines späteren Schriftstellerlebens gesehen. So betonte er in der 1894/5 begonnenen NiederschriftVon Zwanzig bis Dreißig", daß er nach Berlin kam, da sein Vater beschlossen hatte,statt einer Gymnasialbil­dung, in deren ersten Anfängen ich stand, eine Realschulbildung, und zwar auf der seit kurzem erst gegründeten Klödenschen Gewerbeschule zu geben. Das Resultat dieses unterbrochenen Schulgangs war, daß ich, anstatt eine Sache wirklich zu lernen, um alles richtige Lernen überhaupt kam und von links her die Gymnasialglocken, von rechts her die Realschule habe läuten hören, also mit minimen Bruchteilen einerseits von Latein und Griechisch, andererseits von Optik, Statik, Hydraulik, von Anthropologie wir mußten die Knochen und Knöchelchen auswendig lernen von Metrik, Poetik und Kristallographie meinen Lebensweg antreten mußte" 1 . Mit diesem Durcheinander von unzu­sammenhängenden Detailkenntnissen macht Fontane zugleich Probleme dieses neuen Schultyps sichtbar.

Die bürgerliche Realschule bildete sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in heftiger Auseinandersetzung mit dem Gymnasium heraus. Sie war, wie die Einführung von Fortbildungs- und Berufsschuleinrichtungen, von technischen Lehranstalten, die Beseitigung der Monopolstellung der Gymnasien eine wich­tige Teilforderung der erstrebten Demokratisierung des Bildungswesens. Der Streit um die Verbreitung der realen Bildung, in der Vertreter der preußischen Regierung und reaktionäre Schulbehörden eine Quelle revolutionärer, athei­stischer Gesinnung sahen, durchzog das ganze 19. Jahrhundert.

Im folgenden soll anhand von Fontanes Aussagen, von noch erhalten geblie­benen Schulakten und neueren Forschungsergebnissen versucht werden, ein Bild der Schule, vor allem der an ihr tätigen Lehrer, zur Zeit von Fontanes Schulbesuch nachzuzeichnen.

Fontanes Berliner Zeit bis 1840 gehört zu dem weniger wissenschaftlich auf­bereiteten Lebensabschnitt des Dichters. Das mag teilweise an Fontane selbst liegen, der diese Zeit in seiner autobiographischen Rückschau nur kurz abhan­delt und dabei überwiegend negativ bewertet oder auch daran, daß in diesem naturwissenschaftlich orientierten Bildungsweg kaum ein Zusammenhang mit seinem späteren Leben, Wirken und Schaffen als Schriftsteller und Dichter gesehen wird. 2 Hermann Fricke versuchte bereits in der kleinen SchriftBran- denburgische Beiträge" mit seinem Aufsatz überTheodor Fontanes Schüler­zeit"' einige dieser Auffassungen zu korrigieren. Leider fehlen in diesem Aufsatz, auch bei den zitierten Aussagen Fontanes, die Quellenangaben So gibt Fricke an, daß Fontane später selbst die Entscheidung seines Vaters, ihn auf die Berliner Gewerbeschule zu schicken, als wohlüberlegt und weit­sichtig gewürdigt hat. 4 Denn seine Kinder auf eine Schule ohne alte Sprachen,

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