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ohnehin so vielgeplagten Manne diese harmlose Zerstreuung mißgönnen? Die Gräfin blieb sitzen.
Sobald der Graf vom Fenster aus gesehen hatte, daß Alice und die Kinder im Garten waren, befahl er dem Diener, die Bilder in das Zimmer der Gouvernante zu bringen. Er selbst holte sich ein Kästchen mit Nägeln und einen Hammer und kehrte dann zu seiner Frau zurück. „Komm!" sagte er.
„Ich danke," erwiderte die Gräfin, „Du bringst es jawohl auch allein fertig."
Frau Ina fühlte selbst, daß ihre Antwort unfreundlich war, aber sie konnte nicht anders. Ihr innerstes Wesen sträubte sich dagegen, sich an dieser Ueberraschung zu betheiligen.
Der Graf blickte seine Frau verwundert an und ging dann schweigend hinaus. Die halbe Freude war ihm verdorben.
„Ina ist doch mitunter recht theilnahmlos," dachte er.
Als er das Zimmer der Gouvernante betrat, fand er übrigens die Freudigkeit an seinem Vorhaben zum Theil wieder. Es war da alles so zierlich und traulich und recht nach Frauenart mit den kleinsten Mitteln Hübsches erreicht. Die Blumen standen zwar nur in Gläsern, aber die Gläser befanden sich au der rechten Stelle, auf dem Schreibtische waren einige, an sich freilich sehr unbedeutende Kleinigkeiten anmuthig vertheilt, hier stand ein Körbchen, dort ein Kästchen. Der Graf dachte darüber nach, welches Bild er ihr wohl über den Schreibtisch hängen könnte, aber keines der vorhandenen eignete sich für diesen Zweck. „Was könnte ich ihr hierher hängen? Halt, ich habe es. Sie wird ohne Zweifel für ihn schwärmen, alle schwärmen ja für ihn. Christoph, eile einmal hinunter und bringe mir schnell das Bild, das in meinem Vorzimmer über dem Ecksopha hängt!"
Das Bild wurde gebracht und fand eben so wie die anderen seinen Platz. Der Graf betrachtete sein Werk mit zufriedenen Blicken; das Zimmer hatte wirklich sehr gewonnen. Er sah nach der Uhr — es war die höchste Zeit. Als er aus dem Zimmer schlüpfte, hörte er die Kinder schon auf dem Vorsaal lachen.
Alice stieg die Treppe zwar langsam, aber doch überaus neugierig hinan. Die Kinder hatten ihr gegenüber natürlich nicht reinen Mund gehalten — was für eine Ueberraschung konnte aber der Graf ihr bereiten?
Als sie das Zimmer betrat, stieß sie unwillkürlich einen Ruf freudigen Erstaunens aus. Ueber ihrem Schreibtisch hing das Bild ihres Lieblings, hing Bismarcks Bild. Wie zartfühlend war das wieder! Wie hatte er aber nur in Erfahrung gebracht, daß sie für Bismarck schwärmte? Nun, sie mußte das doch einmal geäußert haben. Aber damit nicht genug, da hingen noch andere Bilder. Das Zimmer war noch einmal so traulich!
„Sehen Sie, Fräulein Heinersdorf," sagte die kleine Erna mit Stolz, „so ist Papa. Wenn er jemandem eine Freude machen kann, so geht er meinetwegen zu Fuß uach Riga."
Alice lächelte. „Ja, Ihr habt einen sehr guten freundlichen Papa," sagte sie, „Ihr müßt ihn auch recht lieb haben!"
„Spaß! Und ob wir ihn lieb haben!" war die Antwort.
Alice erröthete plötzlich über und über. Bei dem Gedanken, daß der Graf in ihrem Zimmer gewesen war, überfiel sie ein Gefühl seltsamer Blödigkeit; hatte er auch nur alles in Ordnung gefunden? Aber so viel sie auch umherspähte — alles stand, wo es stehen mußte.
Der Graf war unterdessen ungesehen hinabgelangt und begab sich zu seiner Frau. „Jnachen," sagte er, „da oben sieht es ja aus wie im Zimmer einer Zofe. Du könntest der jungen Dame doch auch einen Teppich unter den Schreibtisch und einen vor das Sopha legen lassen."
„Es wird geschehen, Georg."
„Schön, mein Liebchen. Auf Wiedersehen!"
Der Graf begab sich in sein Arbeitszimmer und war sofort in Verhandlungen aller möglichen Art vertieft.
Als er zu Tisch kam, trat ihm Alice entgegen, reichte ihm die Hand und dankte ihm für seine Aufmerksamkeit. Sie sah allerliebst aus, wie sie so vor ihm stand und über und über erröthend ihren Dank stammelte. Der Graf bemerkte, daß er nie ein zarteres Blau an der Schläfe einer Dame gesehen hatte, und die Grübchen waren heute noch lieblicher als gewöhnlich.
„Ihr Herr Gemahl hat mich in so freundlicher Weise überrascht, gnädige Frau, indem er mir meinen Liebling über den Schreibtisch hing."
„Wen meinen Sie, mein Fräulein? Wer ist Ihr Liebling?"
„Der Graf Bismarck."
Die Gräfin warf einen raschen Blick auf ihren Gemahl. „Nun, es frent mich, daß mein Mann Ihren Geschmack getroffen hat," sagte sie; ihre Worte klangen aber wie: „Ja,
was geht das mich an!"
Der Umstand, daß er wieder einmal einen rechten Griff gethan hatte, stimmte den Grafen heiter. Er erzählte, daß er gleich nach dem Essen nach Papenstadt — so hieß die nahegelegene Kreisstadt — fahren müsse, um dort am Abend einen Vortrag im landwirthschaftlichen Verein zu halten. Da seine Frau sich durchaus schweigend verhielt, so wandte er seine Worte unwillkürlich an Alice, der der Verein ja ohnehin etwas Neues war.
„Und worüber werden Sie sprechen?" fragte Alice.
„Ueber das Gipsen von Klee. Sic müssen nämlich wissen, daß meine Zuhörer zum größeren Theile Bauern sind. Wir haben diesen Verein ins Leben gerufen, um an unserem Theile zur Verbreitung landwirthschastlicher Kenntnisse unter dem Landvolke beizutragen."
„Das ist sehr gemeinnützig, Herr Graf."
„Finden Sie? Wenn es damit nur besser ans der Stelle ginge. Bisher halten wir Gutsbesitzer den Vortrag und de- battiren dann darüber; natürlich nur, um die Leute dazu zu veranlassen, daß sie mitsprechen, daß sie wenigstens fragen; aber bisher ist das alles verlorene Liebesmühe. Wir reden uns heiser, und sie lächeln, lächeln — Sie wissen ja, unsere Bauern lächeln immer, wenn ein Edelmann dabei ist — aber sie schweigen. Ich habe neulich schon absichtlich den größten Blödsinn ge sprachen, nur um sie in Harnisch zu bringeu; aber alles ver gebens. So fabriciren wir daun um die Wette — wir Blech, die Bauern Gold."
Als die Mahlzeit aufgehoben worden war, fragte der Graf Alice, ob sie reite. Als sie die Frage verneinte, drang er in sie, sie möge es doch erlernen. „Ich habe einen alten Schimmel," sagte er lachend, „der für solche Zwecke wie ge schaffen ist."
Die Aussicht, reiten zu können, war für Alice sehr verlockend; sie hatte sich das Reiten immer so herrlich gedacht; aber ihr fuhr der Gedanke durch den Kopf, daß sie dazu eines Reitkleides bedürfe, und sie wollte doch sparsam sein.
„Ich danke Ihnen, Herr Graf," sagte sie, „aber ich fürchte, was Hänschen nicht lernte, lernt Hans nimmermehr."
„Nun, mit dem Hans hat es, denke ich, noch gute Weile," erwiderte der Graf lächelnd, „überlegen Sie sich die Sache."
Der Wagen hielt vor der Thür.
„Du siehst übel aus, Ina," sagte der Graf, indem er sich verabschiedete.
„Ich danke Dir, es hat nichts auf sich. Ich habe ein wenig Kopfweh und will mich daher etwas zurückziehen."
(Fortsetzung folgt.)
Nachdruck verboten Ges. v. ii./Vl. 70.
persönliche Erinnerungen ans den Jahren 1848—18^0.
19. März näher einzugehen. Die Fehler, die man damals auch
Es ist nicht meine Absicht, auf die Details der Straßen- ^ militärischerseits begangen, sind demnächst so allgemein anerkannt kämpfe, namentlich des Kampfes in der Nacht vom 18. zum ! daß eine Kritik derselben als überflüssig und verspätet erscheint