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„Wie so, Doktor, wie so?"
„Na, der Alte ist keinen Schuß Pulver Werth. Die ganze Rasse hat eigentlich nie was getaugt — verfluchtes Volk, die Engländer, sagt der alte Graf Rechberg, sprechen meinen ehrlichen Namen Heinersdorf ans. Na ja, aber lassen Sie cs das Dingchen nicht entgelten. — Wie geht es dem Grafen? Neber- nimmt also doch Hallermünde? Na ja, freut mich. Er ist der Mann dazu — werden einmal dreimal so reich sein, als Sie jetzt schon sind, Jnachen. Na ja, kann meinen Armen schon recht sein. Grüß Sie Gott, Jnachen."
„Aber bleiben Sie doch zum Frühstück, Doktor. Georg wird gleich nach Hanse kommen. Sie können ja dann auch die Grübchen von Fräulein Heinersdorf bewundern."
„Ha, ha, ha! Na ja, das fehlte noch. Bin heute in Sergen. Wird eine schandbar heiße Fahrt werden, aber was thml? Dazu ist man da. Adieu, Jnachen, und grüßen Sie den Grafen. Na ja, und sticken Sie nicht so viel. Taugt nichts - rangt gar nichts. Na ja — Adieu, Jnachen."
Der Doktor saß schon in seinem Wägelchen, und der Stallknecht vorn am Kopf des Pferdes ließ schon die Zügel fahren, als der Doktor dem Diener znrief: „Rufen Sie doch einmal die Amalie."
Der Diener eilte ins Haus, und Amalie erschien. Alice hätte schwerlich geglaubt, daß Amalie je so freundlich aussehen könne wie jetzt.
„Guten Tag, Amalie," sagte der Doktor in lettischer Sprache. „Geben Sie Acht, daß die Gräfin nicht zu viel stickt."
„Ja wohl, Herr Doktor," erwiderte Amalie ebenfalls lettisch. Die Gräfin und der Doktor waren die einzigen Menschen, mit denen Amalie lettisch sprach -- in beiden Fällen redete eben ihr Herz.
Der Doktor trieb sein Pferd an. In der Allee begegnete ihm der Gras.
„Ich danke Ihnen, Doktor, daß Sie gleich gekommen sind. Sie haben doch meiner Frau nichts von meinem Brief erzählt?"
„Nein, nichts. Na ja, mit dem Unwohlsein ist es übrigens nicht so schlimm, wie ich fürchtete — kleine Indisposition, das gibt sich. — Na ja, wie geht der neue Hengst?"
„Danke, Doktor, leicht. Also Sie meinen, es habe nichts aus sich? Ina ist aber in den letzten. Tagen ganz verändert, so reizbar."
„Na ja, die Frauen sind alle reizbar — man muß sie eben nicht reizen. Adien, Herr Graf!"
Der Besuch des alten Freundes hatte die Gräfin noch mehr beruhigt. „Also die Heinersdorfs hatten ein so schlechtes Renommöe! Und speziell Alicens Vater taugte nicht viel. Ganz richtig, der Graf hatte sich ja kürzlich ihrem Vater gegenüber ähnlich ausgesprochen. Und dann — der Vater hatte recht, wenn er betonte, daß man von seinen Lieben nichts Schlechtes glauben dürfe. Der Graf — nein, ihr Eifersnchtsanfall war doch noch thvrichter gewesen, als sie geglaubt hatte. Ina Campbell eifersüchtig auf Alice Heinersdorf, das war lächerlich und weiter nichts!"
Frau Ina ging durch das Souterrain ins Haus, um dem Koch noch einen Auftrag zu ertheilen. Als sie das Speisezimmer der Dienstboten durchschritt, fiel ihr Blick ans die noch an der Wand lehnenden Stahlstiche. Der Graf hatte recht, man mußte bemüht sein, dem armen Mädchen, das unter seinen Verhältnissen doch gewiß sehr litt, eine Freude zn machen. Sv wenig sie auch als Gouvernante taugte, so konnte man sie immerhin nicht vor Ablauf eines halben Jahres entlassen, und bis dahin konnte man dazu beitragen, ihr das schwere Leben zu erleichtern. Die Gräfin gab den Befehl, die Bilder hinaufzubringen und zunächst in einem leerstehenden Gastzimmer abzustellen. Sie wollte selbst ihren Gemahl an sein Vorhaben erinnern.
Der Graf kehrte verstimmt nach Hause zurück. Er war, als die irene Gemeindeordnung eingeführt worden war, einstimmig znm Gemeindeältesten der Gemeinde Rotenhof erwählt worden und hatte die Wahl angenommen, aber er hatte sich bald überzeugt, daß sein neues Amt keine Sinecnre war. Auch
beim redlichsten Willen, auch beim geschicktesten Vorgehen gelang es nur schwer oder auch wohl gar nicht, die natürliche Kurzsichtigkeit und den Eigennutz der Bauern zu überwinden. Heute hatte es sich darum gehandelt, einen endgültigen Entschluß über den Ban eines Armenhauses zu fassen. Die Armen der Gemeinde waren bisher bei den einzelnen Bauern in Pension gegeben worden und waren dabei eben so schlecht gefahren, wie die Gemeinde selbst. Jetzt sollten sie nun in einem eigenen Armenhause verpflegt werden, aber vergeblich hatte der Graf alle seine Beredsamkeit erschöpft, um zu beweisen, daß ein solches sich nicht nur besser überwachen ließe, sondern daß diese Anordnung sich auch als bedeutend billiger erweisen würde. Die wohlhabenden Wirthe und selbst die besser gestellten Knechte hatten gedacht, wir kommen doch nicht ins Armenhaus und hatten den Antrag abgelehnt. Der Graf hatte seine Frau aufgesucht und ging nun langsam mit ihr auf und ab.
„Es ist zum Verzweifeln," fuhr er fort. „Ich erbot mich, den Grund und Boden unentgeltlich herzugeben, die Ziegel, die Balken, den Kalk — nichts half. Dabei waren sie alle die Freundlichkeit in Person. Und doch kenne ich sie — wäre ich nicht Gemeindeältester, süße ich ihnen nicht immer auf dem Nacken — Gnade Gott den Armen! Sie hätten es noch schlimmer als jetzt, müßten vielleicht gar wie früher in jeder Woche in ein anderes Gesinde! Ich sage Dir, Ina, wenn ich an alle diese armen schwachen Kerlchen und Weiblein denke und an diese hartherzigen, gesunden starken Männer — wahrhaftig, es ist, um unter die konservativen Heulbrüder zu gehen und im Namen von Deutschthum und Lutherthum die selige Brotpeitsche zu reklamiren."
„Aber konntest Du ihnen nicht das Haus fix und fertig Herstellen?" fragte Frau Ina. „Würde das so sehr viel mehr kosten?"
„Gewiß könnte ich das, aber ich will es nicht. Sie müssen doch lernen, selbst an die Ihrigen zn denken. Ich will Ihnen ja helfen, aber Schenken ist nicht Helfen. Es ist zum Todtärgern. Aber ich lasse nicht nach, ich will doch einmal sehen, ob ich nicht hartnäckiger bin als sie. Eine Bande! Aber sprechen wir von etwas anderem!"
Sie durchschritten gerade ein kleines trauliches Plauderstübchen und des Grafen Blick fiel auf einen schönen Stahlstich über dem Sopha. „Apropos," sagte er, „sind die Bilder für das Zimmer unserer kleinen Hausgenossin ausgesucht?"
Die Gräfin hatte selbst ihren Gemahl an die Bilder erinnern wollen, aber jetzt, da er sich nach ihnen erkundigte, ging seine Frage ihr wie ein Stich durchs Herz. Also, er hatte mitten unter seinen Geschäften doch noch Zeit gefunden, an die „kleine Hansgenossin" zn denken!
„Ich habe die Bilder abstäuben und vorläufig ins dritte Gastzimmer stellen lassen."
„Vortrefflich, das wird ja ganz prächtig. Wie kriegen wir sie nur für eine halbe Stunde aus ihrem Zimmer? Mau muß die kleinen Mädchen ins Geheimniß ziehen."
„Es ist angerichtet!" meldete der Diener.
Als man gesrühstückt hatte, ries der Graf die Töchter bei Seite. „Geht Ihr jetzt spazieren?"
„Ja wohl, Papa! Willst Du mitkommen?"
„Nein. Ich habe aber eine Ueberraschung für Fräulein Heinersdorf im Sinn. Ihr müßt daher dafür sorgen, daß sie nicht vor einer halben Stunde zurückkehrt. Versteht Ihr?"
„Was ist es? Lieber guter Herzenspapa, was ist es?"
„Sage es uns, Papa, wir werden ganz gewiß schweigen!"
„Seid nicht so neugierig. Nach einer halben Stunde werdet Ihr wissen, worum es sich handelt."
Der Graf kehrte in das Speisezimmer zurück und damit hatten die Quälereien seitens der Töchter ein Ende.
Sie nickten aber nun erst der Mutter und dann einander zu, bis Alice aufbrach.
Frau Ina hatte unterdessen darüber nachgedacht, ob sie nicht mit Rücksicht aus die Eindrücke, die sie in der Rechen- stnnde empfangen hatte, die „Ueberraschung" verhindern solle. Nach solchen Ueberraschungen mußte die doch unvermeidliche Kündigung noch peinlicher sein. Sollte sie andererseits ihrem