Heft 
(1990) 49
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das Gewerbeinstitut in Berlin besuchen konnten. An diesen Provinzialgewerbe­schulen mit dem Gewerbeinstitut an der Spitze,'die dem Handelsministerium bzw. dem Finanzministerium unterstellt waren, wurdealler Unterricht kosten­frei auf Staatskosten erteilt" 9 . Dagegen war die Berliner Gewerbeschule mit ihrer Aufgabe einer allgemein höheren Bildung für zukünftige Gewerbe­treibende dem Kultusministerium unterstellt und stand damit außerhalb der groß angelegten Gewerbeförderungspolitik des preußischen Staates in der Frühzeit der industriellen Revolution. Eine Folge war, daß sich in Berlin zwei unterschiedlich gewerbliche orientierte Bildungskonzeptionen entwickelten: das Realschulsystem, mit der Berliner Gewerbeschule als Muster für die späten Oberrealschulen, und die im Rahmen der staatlichen Gewerbeförderung entstandenen gewerblich-technischen Fachschulen mit dem Gewerbeinstitut und späteren Technischen Hochschule Berlin an der Spitze.

Dieser kurze Exkurs in die Frühzeit des gewerblich orientierten Bildungs­wesens erscheint notwendig, da beide Einrichtungen, die Gewerbeschule bzw. das Gewerbeinstitut in der Klosterstraße 36 und die Gewerbeschule in der Niederwallstraße 12, häufig verwechselt oder in einen Zusammenhang gebracht werden, der so nie bestand. 10

Ein Jahr bevor Fontane an die Berliner Gewerbeschule kam, hatte sie das Recht erhalten, Abiturientenprüfungen durchzuführen; den Anspruch der Verleihung zum einjährig freiwilligen Militärdienst erhielt die Gewerbeschule bereits mit ihrer Eröffnung. Dadurch waren ihre Absolventen den in die Unterprima gelangten Gymnasiasten gleichgestellt.

Das Niveau des Unterrichts bestimmten die Lehrkräfte in den naturwissen­schaftlichen Fächern der Schule. An der Schule wirkten solche bekannten Chemiker und späteren Universitätsprofessoren, wie Heinrich Rose (1795 bis 1864) 11 und Friedrich Wöhler (18001882). Sie vermittelten ihren Schülern neue Untersuchungsverfahren und -methoden auch in einem zunächst noch beschei­denen, im Keller der Gewerbeschule eingerichteten Laboratorium. Wöhler hatte hier neben seiner Lehrtätigkeit seine berühmten Experimente durchgeführt. 1828 war ihm mit der Harnstoff-Synthese seine epochemachende Entdeckung gelungen, die damals in der wissenschaftlichen Welt eine große Sensation darstellte. Das Laboratorium wurde nach Wöhlers Entdeckungen vergrößert und modernisiert sowie zu einem bedeutenden Zentrum des chemisch und cheönisch-technologischen Unterrichts in Berlin zu dieser Zeit ausgebaut.

Dem Unterrichtsniveau der Hauptfächer entsprachen die ungewöhnlich hohen Aufnahmebedingungen der Berliner Gewerbeschule. Da die Tertiareife des Gymnasiums vorausgesetzt wurde, besuchte Fontane zuvor die Quarta des Neuruppiner Gymnasiums, damit er am 1. Oktober 1833 in die dritte Klasse der Berliner Gewerbeschule eintreten konnte. Außerdem mußte er, da er zu Michaelis anfangen sollte und nicht wie allgemein üblich für Schüler der Gewerbeschule zu Ostern, zusätzlich nachweisen, daßer soweit fortgeschritten war, daß seine Ausbildung in einem halben Jahr bewirkt werden kann" 12

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