Heft 
(1878) 09
Seite
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daß seine Diana jetzt Welpen hat und bittet Dich, ihn davon zu benachrichtigen, ob Du einen Hund oder eine Hündin haben willst. Braun gebrannt soll nur eine Hündin da sein."

Danke. Das ist mir auch ganz recht. Ist sonst nichts passirt?"

Nein."

Nun, und Ihr?" wandte sich der Graf an die Kinder.

Wir haben die ganze Zeit über auf Dich gewartet," erwiderte Erna rasch.

Der Graf umfaßte die beiden und zog sie stürmisch an sich. Und er hatte einmal daran denken können, sich von ihnen zu trennen! Nein, die ehelichen Bande waren doch unlösbar, unzerreißbar.

Wir lieben Dich über alles in der Welt, Papa!" hieß es, während sie an ihm hingen und sich an ihn drückten, als ob sie ihm dadurch beweisen könnten, wie sehr sie ihn liebten.

Frau Ina erhob sich rasch und verließ das Zimmer.

Der Diener brachte den Portwein, schenkte ihn ein und suchte dann die Gräfin auf. Der Graf trank das Glas in einem Zuge leer.

Du bist durstig, Papa."

Ja, mein Kind. Ihr habt schon gegessen, nicht?"

Ja wohl, Papa."

Alle vier?"

Nein, Fräulein Heinersdorf ist unwohl; sie ist auf ihrem Zimmer geblieben und hat nur Thee getrunken."

Ist Fräulein Heinersdors schon lauge unwohl?"

Seit Du fort bist, Papa. Wir necken sie immer damit, daß sie aus Sehnsucht nach Dir krank geworden sei."

Immer? Das ist gar nicht wahr. Wir haben sie einmal damit geneckt, aber Mama hat es verboten, und wir haben es nachher nicht wieder gethan."

Bleibt das Fräulein ganz zu Bett?"

O nein, wir haben auch alle Tage Stunden. Sie hat nur am Abend immer Kopfweh und geht deshalb früh schlafen."

Ich werde Dir sagen, Papa, was es ist. Ich kenne die ganze Geschichte. An dem Morgen, an dem Du fortfuhrst, bekam sie einen Brief, und in dem muß etwas sehr Trauriges ge­standen haben, denn als sie ihn bekam, weinte sie bitterlich und nachher hat sie oft weinen müssen und am Morgen ist sie ganz verweint. Das ist die ganze Geschichte."

Ja, Eleonore hat Recht. Und dann sieht sie immer so traurig aus. Ich fragte sie, ob ihr Vater gestorben wäre, aber sie sagte nein. Weißt Du, was Du thun könntest?"

Nun nun?"

Du könntest uns sagen, was Du uns mitgebracht hast."

Die Gräfin trat wieder ein und nahm neben ihrem Ge­mahl Platz.

Wie geht es Paul?" fragte sie.

Der Graf erzählte nun von dem Schwager, von den wenigen Bekannten, die er aufgesucht hatte, von dem Verlauf seiner Geschäfte. Der letztere war ein überaus glücklicher ge­wesen.Durch das neue Arrangement," schloß er,sind wir so günstig gestellt, daß wir, auch wenn wir nur Hallermünde hätten, für die nächsten 24 Jahre ein sehr reichliches Aus­kommen haben würden."

Das freut mich aus tiefster Seele," bemerkte Frau Ina.

Der Graf blickte erstaunt auf. Was wollte seine Frau damit sagen? Er sah sie fragend an, aber aus ihrem Gesicht sprach nichts als die gewöhnliche gleichmäßige Freundlichkeit.

Die Bemerkung Frau Inas beunruhigte ihn, er wußte selbst nicht warum, aber er scheute sich, sie nach der Ursache derselben zu fragen, ohne doch zu wissen weshalb.

Der folgende Vormittag verging dem Grafen wie jeder Vormittag nach einer längeren Reise unter einer Fülle von Arbeit. Ein Schwarm von Menschen drängte sich von Sonnen­aufgang bis kurz vor der Mittagsstunde in seinem Vorzimmer, brachte Berichte und Mittheiluugen, verlangte Auskünfte, bot ihm allerlei an und richtete Bitten an ihn. Da kamen die Inspektoren der Güter, der Schreiber, der Förster und dieser und jener Buschwächter; da kamen der Chemiker, der Bier­brauer, der Müller und der.Branntweinbrenner; da kamen

russische Getreidehäudler, jüdische Roßkämme, deutsche Hand­werker, lettische Bauern, Ziegelstreicher aus dem Fürstenthum Lippe-Detmold. Der Bierbrauer klagte, daß die fünf Wagen­ladungen Gerste, die Schmier L Bergmann zum 15. zu liefern hatten, noch immer nicht eingetroffen seien; der Schulmeister klagte, daß es in seine Borrathskammer einregne; eine alte Arme klagte, daß der Wirth, bei dem sie einguartirt war, ihr nicht erlauben wolle, auch nur eine einzige Henne zu halten. Der Förster führte Klage über den Verwalter der Glashütte und dieser erhob Beschwerden wider den Förster. Ein Mann mit auf den Rücken gebundenen Händen erschien auf der Bild­fläche und ein anderer, der Handschellen trug. Sie hatten sich Verbrechen zu Schulden kommen lassen, waren eingefaugen worden und wurden nun an das Kreisgericht abgefertigt.

Jetzt ertönten nur ein paar Worte,- dann entspann sich eine längere Unterhaltung; dann endlich entlud sich ein Donner­wetter.

Der Graf und die Gräfin befanden sich bereits in dem kleinen Zimmer, in dem die Familie sich unmittelbar vor Tisch zu versammeln Pflegte, als Alice eintrat. Als der Graf auf sie zuging und ihr die Hand reichte, erröthete sie bis an die Haarwurzeln. Der Graf fühlte, wie die Blicke seiner Frau auf ihnen weilten, und das Blut stieg auch ihm heiß zu Kopf. Er blickte zornig zu ihr hinüber. Sie lehnte an der Fenster- brüstung, hatte den Kopf weit zurückgelehnt, daß die reichen blonden Haarflechten zu beiden Seiten hervorquollen, und sah ihn mit funkelnden Augen an, obgleich ein Lächeln um ihre Lippen spielte. Der Graf schritt, indem er sie unverwandt an­blickte, langsam auf sie zu. Er wußte selbst nicht, was er eigentlich wollte, aber es trieb ihn vorwärts. Als er dicht vor ihr stand, fragte sie, ohne ihre Stellung zu verändern oder eine Miene zu verziehen:Nun?"

So fragt eine Mutter einen trotzigen Jungen, der zornig auf sie zutritt:Nun?"

Der Graf wandte sich um und verließ das Zimmer.

Jetzt trat auch Aliee auf die Gräfin zu, um sie zu be­grüßen. Die Gräfin fühlte in diesem Augenblick den lebhaften Antrieb, ihr aus voller Kraft ins Gesicht zu schlagen. Sie hatte nie vorher eine ähnliche Anwandlung gehabt, und sie hatte sie nachher nie wieder, aber in diesem Augenblick kostete es ihr die größte Anstrengung, der wilden Regung Herr zu werden und ihre Hand für einen Augenblick in Alicens Hand zu legen.

Bei Tisch ging es still her, es sprachen fast nur die Kinder. Alice blickte in ihren Teller und kämpfte offenbar die ganze Zeit über mit ihren Thränen; der Graf ärgerte sich über sie, weil sie sich und ihn in so unnützer Weise kompromittirte, und sah doch wieder voll Mitleid auf ihr tieftrauriges Ge- sichtchen; die Gräfin schämte sich des Triebes, den sie vorhin empfunden hatte. Dieser Kampf demoralisirt mich, dachte sie; Gottlob, daß er nun bald ein Ende nehmen wird.

Als die Gräfin die Tafel aufgehoben hatte, eilte Alice auf ihr Zimmer, der Graf ritt aus, und Frau Ina blieb allein. Sie begab sich in ihr Boudoir, entnahm ihrem Schreib­tisch einen Brief und las ihn ach zum wievielten Male! Der mit verstellter Damenhandschrift geschriebene Brief, der ihr vor drei Tagen aus der Kreisstadt zugegangen war, hatte folgenden Wortlaut:

Gnädige Frau!

Man hintergeht Sie in Ihrem eigenen Hause in empörender Weise. Achten Sie auf die Spazierritte und achten Sie sich selbst. Eine Freundin."

Ina hatte nicht einen Augenblick an der Wahrheit dieser Mittheilung gezweifelt. Alicens verändertes Wesen war ja der beste Kommentar dazu. So sangen denn schon die Spatzen auf den Dächern von dem, was ihr angethan war. Es gab für sie kein Zögern mehr, sie mußte ebensich selbst achten". Sie wollte fort, fort ohne Abschied, den sie nicht ertragen konnte. In dem herzzerreißenden Jammer über ihr zertrüm­mertes Glück, über ihre betrogene Liebe hielt sie nur der eine Gedanke aufrecht: seiner würdig zu bleiben, auch wenn er selbst seiner unwürdig wurde.