Heft 
(1878) 09
Seite
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Ina trat an's Fenster, öffnete es und lauschte. Dann blickte sie auf die Uhr, erst auf ihre, dann auf die auf dem Kaminsims. Beide zeigten übereinstimmend die sechste Stunde an.

Er könnte schon 'da fein," sagte sie und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. Dann trat sie abermals an das Fenster und lauschte wieder.

Der kalte Wind, der zum Fenster hineinfuhr, hatte die Wolken vertrieben, der Himmel war klar und blau und ver­sprach auch am folgenden Tage so zu bleiben. Am Rande des Gartens lockten die Rebhühner, der grüne Rasen kontrastirte so hübsch mit dem zum Theil schon gelb gefärbten Laube und den Asterbeeten, die Natur empfand nach dem heißen Sommer den Frühherbst, wie wir Menschen nach einem heißen Tage die Abendkühle.

Ans der Ferne ertönte Wagengerassel.Das sind zwei Wagen," dachte Ina,es wird doch nicht Besuch kommen?"

Es waren zwei Wagen. In dem einen saßen der Doktor, Herr von Ahlbach und der Hauptmann Bärwald, in dem andern der Wallernsche Bärwald und die Barone Schotthof, Stockkirch und Grünhof.

Frau Ina schwankte einen Augenblick, ob sie die Herren überhaupt empfangen sollte, entschied sich aber schließlich doch dafür. Sie werden eine Partie machen, und wir werden dann noch ungestörter sein als sonst, dachte sie. Sie gab Auftrag, daß der Reitknecht den Grafen aufsnchen möge, und empfing die Herren.

Der Graf trat bald darauf ein. Man begrüßte sich und sprach von der Ernte, von den Feldhühnern und den Hühner­hunden. Dann setzte man sich zur Partie Pröference. Die beiden Bärwald und Grünhof spielten an einem, die Herren von Schotthof, Ahlbach, Stockkirch und der Doktor am andern Tisch. Da die letzteren zu vieren waren, so trat abwechselnd einer von ihnen aus. Der Graf, der nicht spielte, aber, wie man wußte, gern zusah, setzte sich bald zu dem einen, bald zu dem andern.

Nach einer Weile wurde der Doktor frei.Herr Graf," sagte er,ich begebe mich auf einen Augenblick zu Ihrer Frau Gemahlin. Sollte ich, wenn ich wieder eintreten muß, noch nicht zurück sein, so spielen Sie wohl für mich."

Bitte, sehr gern, lieber Doktor."

Der Doktor erhob sich, zog sich die Weste herunter eine weiße Weste mit Knöpfen aus weißem Horn und ging langsam durch die Zimmerreihe in das Boudoir der Gräfin. Der eine Flügel der Thüre war schon geschlossen, der Doktor zog auch den anderen hinter sich zu. Die Gräfin winkte ihm, neben ihr Platz zu nehmen. Er that es und blickte sie dann ge­spannt an.

Frau Ina erröthete für einen Augenblick, wurde aber dann sehr bleich.Herr Doktor," sagte sie, indem sie zum Fenster hinausblickte und schwer athmete,ich weiß, daß Sie ein treuer Freund unseres Hauses sind."

Natürlich, Jnachen, natürlich. Wie sollten Sie das nicht wissen."

Es trat eine Pause ein. Endlich wandte Ina sich wieder dem Doktor zu. Ihre Zähne schimmerten weiß auf ihrer Unterlippe.Herr Doktor," sagte sie,ich habe außer Ihnen keinen Freund keinen denn meine Eltern und mein Bruder sind in der Fremde. Darum wende ich mich an Sie mit einer Bitte. Die Erfüllung dieser Bitte wird Ihnen Un­annehmlichkeiten machen, aber ich kann nicht anders."

Der Doktor beugte sich vor, wie ein Mann, der nach Barschen angelt und nun plötzlich aus der Schwärze des Wassers die schwankenden Umrisse eines riesigen Hechtes her- vordämmern sieht.Was meinen Sie, Jnachen?" fragte er beklommen.

Sie sollen mir für mich, meine Kinder und Amalie einen Paß ins Ausland besorgen. Ich will zu meinen Eltern, die jetzt in Vevey sind. Mein Mann darf aber nichts davon er­fahren."

Der Doktor fuhr zurück, als ob ganz unerwartet ein Volk Feldhühner vor ihm aufgegangen wäre.Um Gottes willen, was ist denn aber geschehen?" rief er.

St!" wehrte Ina.Verlangen Sie, daß ich Ihnen das sage? Können Sie mir das nicht ersparen?"

Nein, Ina, das verlange ich durchaus. Das kann ich Ihnen durchaus nicht ersparen. Es muß sich ja zwischen Ihnen um ein tolles Mißverständniß handeln, und um eines solchen willen geht Ihresgleichen doch nicht gleich fort. Sie wollen Ihren Mann verlassen? Sie Ina Polderkamp da kann man ja verrückt darüber werden, rein verrückt."

Doktor," bat Ina, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte,quälen Sie mich nicht. Warum verlangen Sie, daß ich Ihnen die Beleidigung, die mir angethan ist, selbst mittheile?"

Der Doktor wollte aufspringen, aber Ina hielt ihn zu­rück.Das ist ja eitel Thorheit!" rief er laut, mäßigte aber dann auf Inas Mahnung seine Stimme und flüsterte:Nehmen Sie mir das übel oder nicht, Jnachen, aber das ist ja reine Tollheit!Na ja, reiner Unsinn. Wer hat Sie beleidigt, doch nicht etwa Ihr Mann?Unser Gras" seine eigene Frau be­leidigen! Na ja, Jnachen. Sie sehen selbst, der Gedanke ist doch einfach albern. Sie sind krank, Jnachen, na ja, Sie sind krank. Geben Sie mir Ihren Puls."

Ina erhob sich rasch, trat an den Schreibtisch und reichte dem Doktor mit abgewandtem Gesicht den Brief der anonymen Freundin.

Der Doktor überflog ihn, einmal, noch einmal. Ich ver­stehe nicht, was das heißen soll," sagte er.

Ina hatte die zusammengeballte Hand auf den Tisch ge­legt und ihren Kopf daraus gelehnt, so daß der Doktor nur ihren Scheitel und ihr goldblondes Haar sah.Es geht auf meinen Mann und die Heinersdorf," sagte sie dumpf.

Der Doktor sprang auf.Das ist eine nichtswürdige Verleumdung," rief er,eine schnöde Lüge, die das Hirn irgend eines Schurken, den Ihres Mannes Ehrenhaftigkeit beleidigte, ausgebreitet hat. Wahrhaftig, Ina, wenn jemand mir gesagt hätte, daß meine Ina Pylderkamp je einem so wüsten Gerede ihr Ohr leihen würde, er hätte blaue Bohnen schlucken müssen. Ich bin ein alter Kerl, aber bei Gott, ich hätte sie ihm durch die Gurgel gejagt! Schämen Sie sich, Ina, schämen Sie sich!"

Ina richtete ihr Haupt empor, und der Doktor erschrak über ihre verstörten Züge.Doktor," sagte sie heiser,was in dem Briefe steht, ist wahr."

Der Doktor stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Und ich wiederhole, daß es nicht wahr ist, daß es eine ver­dammte Lüge ist. Wenn Sie Ihren Mann nicht kennen, so kenne ich ihn wenigstens, wenn Sie sich nicht scheuen, eine wider den tadellosesten Ehrenmann des Landes ausgesprochene Verleumdung nachzusprechen, so thue ich es wenigstens; wenn Sie, von kindischer Eifersucht getrieben, das Bild unseres Grafen beflecken, so halte ich es wenigstens rein. Ich bin als Ihr Freund hier, und ich würde meine Pflicht schlecht erfüllen, wenn ich diesen Ausgeburten überreizter Nerven nicht mit aller Energie gegenübertreten wollte. Sie sprechen von Ihrem Manne, der Sie zehn Jahre lang auf den Händen getragen hat; Sie sprechen von dem Vater Ihrer Kinder, der Ihnen immer treu zur Seite stand. Sie wissen sehr wohl, Ina, daß ich Sie viel, viel mehr liebe als ihn, aber Ina, so unsinnigen Vor­würfen gegenüber muß ich auf seine Seite treten. Diese kleine Heinersdorf ist ein Kindchen, ein hübsches liebreizendes Kind­chen, und' sie lebt in sehr unglücklichen Verhältnissen. Der Graf ist ein Kinderfreund, und er ist mitleidig wie ein gut­mütiges junges Mädchen. Er wird gütig gegen sie gewesen sein, vielleicht ein wenig gütiger, als er es ohnehin gegen Jedermann ist, und darüber lassen Sie ein so nichtsnutziges Gefühl, wie die Eifersucht, in sich aufkommen."

Ina erhob sich.Herr Doktor," sagte sie,ich habe Sie um eine Gefälligkeit gebeten. Daraus läßt sich denn doch noch nicht das Recht ableiten, mich in meinem mich zu beleidigen."

Der Doktor trat auf sie zu und ergriff ihre Hand.Liebste Ina," sagte er,haben Sie denn wirklich irgend eine ernste Veranlassung zur Eifersucht? Kommen Sie, setzen Sie sich nieder, erzählen Sie. Stützen Sie wieder einmal Ihren Kopf an meinen Arm wissen Sie, wie damals, wenn Sie