Heft 
(1878) 09
Seite
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sich als Kind in unserem Garten müde gelaufen hatten und erzählen Sie."

Doktor," erwiderte Ina,von solchen Dingen kann man nicht erzählen, denn da ist nichts zu erzählen. Es muß Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, daß ich die unumstößliche Ueber- zeugung gewonnen habe, daß zwischen meinem Manne und ihr ein Liebesverhältnis; besteht. Können Sie unter solchen Um­ständen verlangen, daß ich noch länger in seinem Hause bleibe?"

Der Doktor fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Nein, Jnachen, nein, das verlange ich bei Gott nicht; aber was ich verlange, ist, daß Sie sich nicht wie ein Dieb aus dem Hause stehlen, sondern offen mit ihm sprechen. Das hat er: für zehn Jahre glücklicher Ehe verdient, das sind Sie dem Vater Ihrer Kinder schuldig. Daß Georg Polderkamp in einer schwachen Stunde zu Fall kam, mag möglich sein, wenn ich es auch nimmermehr glaube, daß er aber nicht im Stande ist, sein Weib dauernd zu hintergehen, es, wenn es ihn zur Rede stellt, zu belügen, dafür will ich meine eigene Ehre einsetzen. Nein, Ina, man kann uns vieles vorwerfen, sehr vieles und so lange wir jung sind und ledig, treiben wir es in der Regel wüst genug, aber soweit man überhaupt von uns weiß: für offen und gerade heraus sind wir überall bekannt. Es gibt natürlich auch unter uns im Dunkeln schleichende Kerle, aber die sind aus der Art geschlagene Söhne dieses Landes, und Georg Polderkamp ist ein echter Sohn des Gottesländchens. Na ja, bei uns geht auch die Sünde nackt einher. Na ja, glauben Sie mir, Jnachen, wenn der einmal eine Freundin hätte er führe mit ihr um dis Mittagsstunde im offenen Wagen, vier Pferde lang, durch die Kalkstraße in Riga, und er würde wenn erst sein Gewissen schwiege den Teufel darnach fragen, was die Leute dazu sagen. Nein, Jnachen, bei uns ist es am besten: heraus mit der Klinge und dem Wort. Sie sind Ihrer Mutter Kind, Sie müssen das von ihr her verstehen. Fassen Sie Ihren Mann an die Brust so und drücken Sie ihn an die Wand so und nun gefragt:Was ist's damit? Heraus mit der Wahrheit!" Bei Gott, Ina, er lügt nicht. Ist er schuldig was ich nimmermehr glaube so fällt er vor Ihnen in die Knie und sagt:verzeih!" oder er wendet sich ab, nimmt das Mädchen und geht mit ihr fort dreimal neun Meilen weit, und dann sind Sie frei. Unter Eheleuten soll Wahrheit herrschen, Jnachen. Wird es einmal um sie dunkel, so soll jedes rufen:Wo bist Du?" und nicht Nachlassen, bis es das andere an der Hand hat."

Es wurde ein paarmal rasch an die Thüre geklopft und der Graf trat ein.Störeich?" fragte er.

Nein, Herr Graf, bitte, wir sind fertig," erwiderte der Doktor, sich erhebend. Ina war schon vorher aufgesprungen und hatte sich an das Fenster gestellt.

Dann kommen Sie, Doktor, und vertreten Sie nun wieder Ahlbach. Ich will für einen Augenblick mit ihm bei Seite gehen, es handelt sich um Geschäftliches."

Der Graf nahm den Arm des Doktors, und beide schritten rasch dem Spielzimmer zu. Herr von Ahlbach kam ihnen be­reits entgegen. Er ergriff nun seinerseits den Arm des Grafen, und beide begaben sich auf die Veranda. Draußen war es schon dunkel und kalt, aber die Sterne funkelten in wunder­barem Glanze.

Georg," begann Ahlbach, nachdem sie Platz genommen hatten,ich bin' zu Dir gekommen wie ein Freund zum andern. Ich weiß, daß Du meine Worte nicht mißdeuten wirst. Ich möchte Dich bitten, in Deinem Verkehr mit Fräulein Heiners­dorf ein wenig vorsichtiger zu sein."

Ahlbach hielt einen Augenblick inne. Er hätte gern ans des Freundes Gesicht gelesen, wie derselbe diese Bemerkung auf­nahm; aber es war so dunkel, daß das unmöglich war, und der Graf rührte sich nicht.

Ich weiß ja sehr wohl," fuhr Ahlbach fort,daß Du nichts gethan hast, was auch nur als eigentliche Unvorsichtig­keit bezeichnet werden darf, aber Du kannst unwillkürlich Deine großstädtischen Begriffe nicht los werden und vergißt, daß wir an unsere Frauen und Mädchen kleinbürgerlichere Anforderungen

stellen als Ihr. Du hast dadurch, daß Du mit dem jungen Mädchen Tag für Tag allein den Wald durchstreiftest, gewiß sehr unerwartetes Aergerniß gegeben."

Wer sagt das?"

Aber, lieber Georg, fahre nicht auf! Mit zornigem Drein­fahren kann man solch ein ungreifbares Gerede nicht bekämpfen. Mir gegenüber kommt natürlich niemand mit der Sprache her­aus, aber ich weiß, daß man sich vielfach darüber skandalisirt hat. Es glaubt ja auch kein Mensch etwas Schlimmes, aber man findet Dein Verfahren nicht ganz so korrekt, wie man es von Dir gewohnt ist. Die Kosten davon trägt natürlich das junge Mädchen, und da diese als eine Heinersdorf sich doppelt hüten muß, Aufsehen zu erregen, so hielt ich es für angemessen, Dich von dem Geklätsch zu unterrichten."

Du thatest ganz recht, ganz recht."

Nicht wahr? Man kann in solchen Dingen bei uns nicht vorsichtig genug sein. So nachsichtig man auch gegen junge Männer ist, so streng werden junge Mädchen beurtheilt, wenn sie sich auch nur ein wenig über die Sitte hinwegsetzen. Und diese junge Dame hat ja nichts als ihren guten Ruf."

Nein, nichts als ihren guten Ruf."

Also Du bist mir nicht böse?"

Nein, ich bin Dir nicht böse."

Ahlbach ging zu einein anderen Gesprächsthema über. Du warst in der Residenz," sagte er,hast Du Deine Absicht erreicht?"

Während die beiden mit einander sprachen, hatte Alice das an das Spielzimmer stoßende Gemach betreten. Sie hatte dort eine Arbeit vergessen und war heruntergeeilt, um sie zu holen. Sie wollte eben wieder forthuschen, als sie einen der Herren fragen hörte:Aber warum nannte man die alte Heiners­dorf den Kuckuck? Sieben Pique!"

Alice blieb wie angewurzelt stehen.

Hab' ich selbst," antwortete eine andere Stimme.Das kann ich Dir sagen. Als er noch Friedensrichter war, ließ er sich in der Weise bestechen, daß die Bauern seiner Frau sieben Grandissim? warte einmal sieben Grandissim Hab ich selbst allerlei Geschenke brachten. Versah sich dann einmal einer und kam damit zu ihm, so rief er:Geh zum Kuckuck!" womit er seine Frau meinte."

Die Herren lachten.Er wurde schließlich abgewählt?" fragte Herr von Grünhof.

Ja wohl. Donnerwetter jetzt heißt es aber: Friß, Vogel oder stirb! Sie haben bis Coeur gekauft, Grünhof? Na los mit der Laura, was kann da sein kotits Llisöi-o oavorto. Es war ein Mißgriff, daß er überhaupt gewählt wurde, denn er war, wie die alten Herren versichern, schon in der Schule ein Schubiak und trieb einen unsaubern Handel mit Weichselrohren und Pfeifenköpfen."

Der Vater soll schon nicht weit her gewesen sein."

Da hast Du ganz recht, und der Großvater auch nicht. Donnerwetter, wer konnte das annehmen, gunEiömo mit Sieben und Neun. Daß Euch das Mäuslein beiße. Die Heinersdorfs haben nie etwas getaugt. Weder die Männer noch die Weiber. Begreife einer, wie dieses niedliche Mädchen hat als des Kuckucks und des Dorndrehers Tochter geboren werden können. Bruderherz, schämst Du Dich nicht, Deinen leiblichen Bruder so herein fallen zu lassen?"

Warum heißt er eigentlich der Dorndreher?"

Sehen Sie, es gibt einen Piepmatz dieses Namens bitte, reiche mir die Kreide der die Gewohnheit hat, sich, ehe er frühstückt, eine ganze Anzahl Insekten zu fangen und an einer Stelle auf Dornen aufznspießen. Nun fängt sich der Alte bekanntlich auch seine Infekten zu Johannis ein, sammelt sie an und speist dann ein Jahr lang von ihnen. Da er nun um der Frau willen doch einen Vogelnamen haben mußte, so hat man ihn den Dorndreher genannt."

Aber er muß doch eine kleine Rente haben. Die Tochter sprach einmal von derselben."

Diese Rente besteht in den Zinsen von den durch ihn durchgebrachten Kapitalien, die er nicht bezahlt. Er hat nichts Kleines, als eine kleine Jüdin, die er mit Chokolade füttert,