bror macht. Unsere jetzt oft so unnatürliche Geselligkeit, — unnatürlich, weil die Gesellschaft nicht mehr die erweiterte Famike darstellt, und der dabei entfaltete Aufwand häufig in gar keinem Verhältniß zu dem gewöhnlichen Leben der Familie steht, — diese Geselligkeit würde wieder m hr den ursprünglichen Charakter der Gastfreundschaft ar nehmen, wo jeder Gast als Freund betrachtet wird, statt daß man jetzt die Freunde zu Gast ladet.
Natürlich ist aber letzteres nicht ausgeschlossen. Will man durchaus ein Gastmahl geben, so bietet das Diner die beste Gelegenheit dazu, das man dann um eine Stunde später legen kann. Jedenfalls ist ein solches Mahl weit angenehmer, als die Mittagsgesellschasten, die mit ihrem allen Illusionen feindlichen Sonnenlicht, ihren Abendtoiletten mitten am Tage, ihren, durch keinen nächtlichen Schleier gemilderten weingerötheten Gesichtern mir immer entsetzlich prosaisch und unnatürlich vorgekommen sind Daß nach einem solchen 2 Uhr's Diner der Rest des Tages für uns verloren ist und wir für die übrige Welt ungenießbar sind, versteht sich von selbst.
Der größte Gewinn der durch das späte Essen reformirten Geselligkeit aber würde sein, daß sie beide Geschlechter verbände. Außer in den großen Städten Norddeutschlands sind bei uns Männer und Frauen durch die Geselligkeit mehr getrennt, als vereinigt. Die Herren haben ihre Kasinos, ihre Wein- und Rauchstuben, ihre Soupers und Spielgesellschaften, die Damen ihre Kaffee- und Theekränzchen. Wie ungünstig dieser Umstand auf beide Theile wirkt, das liegt auf der Hand und zeigt sich alle Tage. Die Männer ungenirt unter sich, werden nachlässig in ihren Manieren, ihren Reden; die Frauen, des geistig hebenden männlichen Elementes bei ihren Zusammenkünften beraubt, bewegen sich in ihren Unterhaltungen vorzugsweise in dem engen Rahmen rhrer Interessen, d. h. in Haushaltungs-, Dienstboten- und Toilettenfragen. Machen strebsame Frauen eine Ausnahme davon und bringen andere Themata zur Sprache, oder vereinigen sie sich gar zu einer mehr geistig angeregten Geselligkeit, so werden sie von dem männlichen wie von ihrem eigenen Geschlechts als „Blaustrümpfe" stigmatisirt, und leugnen läßt sich nicht, daß ein nur aus Frauen zusammengesetzter geselliger Kreis allerdings leicht einer gewissen Einseitigkeit verfällt. Kommen dann aber beide Geschlechter in Gesellschaften zusammen, so sind die Männer unbeholfen, glauben mit den jungen Damen nur „Süßholz rasp-ln" zu dürfen und halten die älteren, wenn sie sie nicht kennen, für langweilig; die Frauen ihrerseits, wenig an solche Geselligkeit gewöhnt, zeigen sich unnatürlich, glauben etwas vorstellen zu müssen, was sie nicht sind, und werden dadurch in der That unliebenswürdig. Nur ein häufiger, einfacher und natürlicher geselliger Verkehr gibt beiden Theilen Gelegenheit sich wirklich kennen zu lernen, und damit fällt die Steifheit und Unmanierlichkeit von der einen, die Asfektation von der andern Seite von selbst fort. Daß eine solche nähere Bekanntschaft auch den falschen Reiz zerstören würde, den das Ferne, selten Geschaute ausübt, daß die jungen Leute dann ein richtigeres Urtheil über einander erlangen würden, als das jetzt in der gekünstelten Atmosphäre des Ballsaals möglich ist; daß Männer und Frauen dann, statt Phrasen auszutauschen, wirklich Theil nehmen würden an ihren gegenseitigen Interessen, und die beiderseitige Bildung auf diese Weise wesentlich gefördert würde, — das bedarf wohl keines Beweises.
Eine solche gemeinsame Geselligkeit aber würde das natürliche Resultat des späten Essens sein. Was die meisten Familien jetzt davon abhält, gemischte Gesellschaften zu geben, ist nicht etwa eine Abneigung der Frauen gegen das stärkere Geschlecht, und ebenso wenig - wollen wir hoffen! — eine Abneigung der Männer gegen das „ewig Weibliche", sondern ganz einfach der Kostenpunkt. Man hält sich bei einer gemischten Gesellschaft für verpflichtet, ein mehr oder minder luxuriöses warmes Abendbrot zu geben, fällt diese Verpflichtung fort, so werden jene Gesellschaften, statt wie jetzt die Ausnahme zu sein, die herrschende Regel werden. Eine Sorte getrennter Geselligkeit aber macht das späte Essen -- o Wonne! — ganz unmöglich: die Kaffee-Föten! Dieser Umstand allein sollte genügen, dem späten Diner den Sieg zu verschaffen, denn wie viele Uebel würden damit nicht beseitigt! Unglückliche, den Dienstboten überlassene Kinder, heimatlose Gatten, die, abends nach Hause kommend, ihre bessere Hälfte nicht finden und oft nur deshalb das Restaurant aufsuchen; unbarmherzig gemordete gute Rufe (es ist merkwürdig, daß solche Morde beim Kaffee häufiger Vorkommen sollen, als beim Thee!), alles das, von der entsetzlichen Zeitverschwendung gar nicht zu reden, würde mit seinem Urheber, der Kaffeegesellschaft, fallen. Die Frau muß ja um 6 Uhr zum Essen zu Hause sein, hat vorher die Vorbereitungen für dasselbe zu überwachen, (während morgens Zeit für alle Haus- und Handarbeit bleibt!, da ist an Nachmittagsgesell- schasten nicht zu denken! So wird alle Geselligkeit dann, wie sie sollte, auf den Abend verlegt, — die Zeit, wo man nach der Tagesarbeit sowohl die Neigung wie die Berechtigung fühlt, sich zu amüsiren, wo der Geist, nachdem er den Tag über dem persönlichen Interesse, dem Berufe gedient, sich gern und leicht dem allgemeinen Interesse zuwendet. Die einzige Jahreszeit, in der Nachmittagsgesellschaften geeignet erscheinen, ist der Sommer; unsere hübschen Land- und Waldpartien, unsere Nachmittagskonzerte im Freien sollen wahrlich nicht in das Anathema mit eingeschlossen werden; ihnen zu Liebe könnte man ja, wie dies in andern Ländern auch vielfach geschieht, für die Sommermonate die alte Essenszeit beibehalten.
Für das übrige Jahr aber versuche man es mit dem späten Diner.
Einen andern Uebelstand bespricht Frau El. v. C.
Wenn ich während des französischen Krieges die Lazarethe besuchte, schreibt diese Dame, fiel es mir überaus unangenehm auf, daß nicht wenige der Damen, welche dort halfen, in seidenen Kleidern mit Schleppen, reich mit
Schmelz gestickt, ihres patriotischen Amtes walteten. Nicht weniger unangenehm berührte es, wenn man damals in Theatern die Frauen der Männer, die in Frankreich gegen die Franzosen kämpften, mit Häubchen ü 1a, xaz-sauus geschmückt sah. Wir haben seitdem Frankreich niedergeworfen, aber die französische Mode ist noch immer allmächtig. Und wenn wir noch die Trachten der wirklich vornehmen französischen Gesellschaft nachahmten! Statt dessen fügen wir uns aber einer Mode, die in jedem Faltenwurf sowohl, wie in dem Mangel an Faltenwur,, ihren Ursprung verräth. Man frage doch nur an bei unfern deutschen Damenj die in Paris leben, ob wirklich vornehme Damen dort die Moden tragen, welche zu uns als „Pariser Moden" kommen und nicht vielmehr, wenn sie sich auf den Straßen zeigen, was überhaupt selten geschieht in der schlichtesten einfachsten Toilette erscheinen, während auch die arbeitende Französin nie mit der Schleppe auf der Straße erscheint, sondern in kurzen Kleidern, die ihr gestatten, raschen Schrittes auf zierlichen kleinen Füßen sauber über den Straßenschmutz hinzuschreiten.
Aber weder die Dame des Fauboürg St. Germain noch Mademoiselle Grisette geht uns etwas an — wir haben Geschmack und Geschick genug, um uns ohne ihr Vorbild zu kleiden. — In unserm praktischen Zeitalter brauchen wir . einen Gesellschafts- und einen Straßenanzug, oder eigentlich zwei Straßenanzüge, denn wir gehen nicht nur spazieren, wir gehen auch am den Markt, zwischen die Reihen der Fischweiber, der Gemüseverkäuferinnen re. — und wir brauchen endlich noch einen Hausanzug. — Der Anzug soll kleiden, soll die Gestalt vortheilhaft hervorheben oder die etwaigen Mängel derselben verhüllen, er soll uns in unserer Beschäftigung nicht hindern und also derselben angepaßt sein; er soll sich durch edle Einfachheit in der Wahl der Farben unv in deren Zusammenstellung auszeichnen, und aller in die Äugen, fallende nutzlose Tand soll verpönt sein. Unter diesen zähle ich das doppelte Kleid, weil es zur Folge hat, daß man statt l2 Meter Stoff, 18 bis 20 und mehr kaufen, zerschneiden, nähen und verbrauchen muß; ferner den Hut, der weder vor der Sonne schützt, noch die Ohren warm hält; sodann die Schleppe, welche die Stuben unv die Straßen kehrt unv den Staub aufwirbelt, und endlich die Haare, die man sich kaust, weil man mit den eigenen Haaren die hohen Thürme oder die langen Beutel und die dicken Zöpfe nicht Herstellen kann. — „Nicht nur das", sagte mir einst ein geistrercher Freunv, „auch die schöne kaukasische Stirn verwandeln sie in die mongolische, indem sie sich die Haare ins Gesicht kämmen."
Nun würden sich ja gewiß viele von den Pariser Moden emanzipiren, und wir könnten hoffen, sie allmählich ganz los zu werben, wenn dieses Streben nicht auf praktische Schwierigkeiten stieße, deren Lösung in erster Reihe Sache der deutschen Kaufleute ist. Ich habe gerade in diesem Falle einige Erfahrungen gemacht. Mir sagten bei einer Besprechung dieser Angelegenheit Freundinnen, die es an deutschein Patriotismus mit jeder aufnehmen konnten: Was sollen wir thun? — Schreiben wir für einen oder zwei Sgr. Porto nach Frankreich, so bekommen wir so viel und was wir wollen umgehend ins Haus geschickt und zwar zu weit billigeren Preisen, aber in nicht schlechterer Qualität wie hier bei uns. Wollen wir nun aus deutschem Patriotismus in Berlin kaufen, was wir hier in Potsdam nicht finden, so müssen wir die Eisenbahnfahrt hin und zurück bezahlen und dort, der großen Entfernungen halber, um Zeit zu gewinnen, noch ein paar Droschken nehmen. Das alles kostet schweres Geld. In Berlin existirt ein großes Geschäft, welches ähnlich, wie die Pariser Geschäfte, seine Kataloge in alle deutsche Gauen versendet Man freut sich im lieben, so viel schwerfälligeren Deutschland, diese praktische Einrichtung zu finden, man sucht Verschiedene- aus, schreibt darum und bittet die Waare gegen P stnachnahme zu schicken. — „Baarer" und prompter kann man Loch nicht zahlen. - Die Antwort kommt: „Man bedauere sehr, das Geschäft habe eine Kommandite an dem Orte, von wo die Bestellung kam, man möge sich an diese wenden." Man wendet sich jedoch vergebens an diese, denn man findet in derselben das Gewünschte und Bestellte nicht. Man findet überhaupt auch nicht annähernd, was im Katalog versprochen wird und begegnet namentlich höheren Preisen. — Man ärgert sich daher über das große Geschäft m Berlin und über die verlorene Zeit, — schreibt nach Paris und bekommt in wenig Tagen das Gewünschte ohne Postnachnahme, und schickt das Geld dafür, wann es einem beliebt. So kommt es, daß unser gutes deutsches Geld nach Frankreich wandert. Was hindert nun die deutschen Kaufleute, diese praktische Mode den Franzosen nachzuahmen? Sie könnten ja, wenn wirklich die baare Bezahlung die Hauptbedingung der niedrigeren Preise ist, ihren Kundinnen, falls die Zahlung nicht sofort erfolgt, einen Aufschlag von so und so viel Prozent aboerlangen und denselben bei Ueberschreitung des Termins erhöhen. Ich darf es wohl mit Bestimmtheit aussprechen, und meine Landsmänninnen werden mir darin Recht geben, daß wir lieber in Deutschland wie in Frankreich kaufen würden, wenn das Einkäufen hier in gleicher Weise erleichtert wäre. Aber auch die Qualität der Waare ist in Frankreich vielfach eine bessere als bei uns. Ich ließ mir einmal aus Paris die so fabelhaft billigen Taschentücher mit buntem Rand kommen, und sie erwiesen sich zu meinem Erstaunen als vollkommen echt in der Farbe. Ich machte darauf in meinem lieben Vaterlanve den gleichen Versuch und sie hielten nicht eine einzige Wäsche aus. Warum sind nun die französischen Tücher echt und die deutschen nicht? — Für diejenigen deutschen Kaufleute, welchen diese meine Worte nicht gefallen sollten, kann ich noch hinzusügen, daß bei weitem die meisten deutschen Kaufleute als die größte Anpreisung ihrer Waare stets wiederholen: „Dies ist eine ganz vorzügliche Waare, es ist französisches Fabrikat!" Mein deutsches Gefühl hat sich gegen diese Dinge oft empört, aber ich will offen bekennen, daß ich trotz meines warmen Gefühles für mein deutsches Vaterland lieber ein waschechtes französisches als ein unechtes deutsches Tuch kaufte.