Heft 
(1990) 49
Seite
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marer Klassik bis zu brieflich geäußerten Ivektiven des alten Fontane etwa gegen Goethes Iphigenie 12 reichen die Zeugnisse einer immer erneuerten Abneigung gegen eine Poesie des Unalltäglichen, die sich der antiken Mytho­logie oder Sage bedient, um ihren idealisierenden Tendenzen einen angemes­senen Ausdruck zu verschaffen. Wenn es bei Fontane dennoch zur dichterischen Adaption von Sagengestalten kommt, dann ist dabei höchst bedeutsam, daß es sich um Gestalten der Volkssage und des Volksglaubens oder Aberglaubens handelt ein Stoffkreis, der dem Sturm und Drang-Goethe der Fischer- Ballade oder des Erlkönig jedenfalls entschieden nähersteht als dem der Weimarer Klassik.

Nun ist Fontane ja, bevor er Romane schreibt, unter anderem Bailaden- Dichter und er bleibt es, wenn auch in geringerer Intensität, bis in seine hohen Jahre hinein. Seine Liebe für Nordisch-Schottisches, seine ambivalente Haltung Spukerscheinungen gegenüber sichern ihn davor, das Ganze des Lebens für prinzipiell erklärbar zu halten oder das Alltägliche, das für ihn doch die Welt des Romans ausmacht, für die allein bestimmende Kategorie unserer Welterfahrung zu halten. In einem 1882 für den RomanentwurfOceane von Parceval" konzipiertes Literaturgespräch heißt es:Eine entzückende Seite in unserer modernen Kunst ist das Hervorkehren des Elementaren. Das Geltend­machen seiner ewig sieggewissen Macht über das Individuelle, das Menschliche, das Christliche. In unsrer klass. Dichtung finden Sie's nicht. Die einzige Aus­nahme die mir vorschwebt, ist Goethes ,Fischer'." (I, 5, 804) Als eine weitere Ausnahme läßt der hier Sprechende, ein Berliner Privatdozent der Germanistik, einige Gedichte Mörikes gelten.

In der Begegnung mit dem Bereich des Elementaren erfährt der Mensch auch bei Fontane noch die Wirkung jener Mächte, die seiner Autonomie als Individuum ebenso spotten wie seinen Versuchen, die Gewalt der Natur etwa durch Werke der Technik zu überwinden.. Davon handelt eine späte Ballade Fontanes, die durch ein Eisenbahnunglück in Schottland Ende 1879 inspirierte Brück' am Tay". In einer seiner frühen Balladen, demWettersee'' (1844) gibt es im übrigen schon die Wassernixen, hier freilich noch ganz konventionell gesehen in ihrem nächtlichen Reigentanz. 13

Das Elementare, wie es schließlich Eingang in seine Romane findet und das Fontane fortan entschieden gegen das Gestaltlos-Unsichtbare des Spuks ab­grenzt nimmt die Gestalt des Weiblichen an und verwandelt sich damit grundlegend. Es ist nicht darauf hat R. Schäfer schon hingewiesen erup­tiver Ausbruch leidenschaftlich erregter Gefühle, die den einzelnen ergreifen und zugleich verwandeln, es hat überhaupt nur wenig mit Dynamik zu tun, sondern es bedeutet umgekehrt die stumme Teilnahmslosigkeit und tiefe Gleichgültigkeit der Natur gegenüber allen menschlichen Regungen. Wo dieses dämonisch Naturhafte als Trieb hervortritt, bleiben die Frauengestalten, die es auslösen, eigentümlich unberührt, mehr Werkzeug eines Geschehens, über das sie selbst vielfach keine Macht haben.

Die Reihe der Frauengestalten, die durch ihre Teilhabe an der Melusinen- Thematik mythisierende Züge erhalten insofern sich in ihnen allen ein immer Gleiches wiederholt durchzieht fast das gesamte Erzählwerk Fontanes. Sie beginnt innerhalb der vollendeten Romane mit der Gestalt Hildes aus Ellernklipp" und reicht über Cecile und Ebba von Rosenberg (ausUnwieder-

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