Heft 
(1990) 49
Seite
431
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Gestalt im Werk Fontanes erscheinen. Ihre Fremdheit der Welt des Sozialen gegenüber erhält dadurch einen Aspekt prinzipieller Unaufhebbarkeit.

Über die Konzeption der Gestalt Hildes aus der KriminalerzählungEllern­klipp" (die in das Jahr 1878 zurückgehl) hat Fontane sich während der Arbeit am Roman geäußert und damit gleichsam ein .Programm' formuliert, das einige wesentliche Momente seiner Melusine-Konzeption zusammenfaßt: Hauptfigur: ein angenommenes Kind, schön, liebenswürdig, poetisch-apa­thisch, an dem ich beflissen gewesen bin, die dämonisch-unwiderstehliche Macht des Illegitimen un<J Languissanten zu zeigen. Sie tut nichts, am wenigsten etwas Böses, und doch verwirrt sie regelrechte Verhältnisse. Sie selbst, ohne den Grundton ihres Wesens zu ändern, verklärt sich und überlebt das Wirrsal, das sie gestiftet." 15

Hilde überlebt zwar nur für kurze Zeit die ihr zugeschriebenen Verwirrungen, aber bedeutsam bleibt doch, daß schon die erste ausgeführte Gestaltung dieser Figurenreihe die Möglichkeit einer Überwindung des bloß Naturhaften ins Auge faßt (hier noch fast Eichendorffisch als Erlösung aus dem Bann feiner Selbstbezogenheit durch ein christliches Leben). Diese Direktheit vermeidet der reife Fontane; hinsichtlich ihrer Stellung zwischen zwei Männern, die den einen das Leben kostet, wie in bezug auf die Verklärungstendenz am Ende bildet Hilde gleichwohl einen weiteren Vorentwurf zu der Gestalt Effi Briests. Hilde teilt mit einigen ihrer späteren melusinenhaften Schwestern die Gleichgültig­keit gegenüber dem Tode; sie bleibt schon als Kind beim Anblick ihrer toten Mutter so regungslos unbeteiligt wie später, als sie eines Nachts verstohlen und wie getrieben dem Brand ihres Elternhauses zusieht, ganz hingegeben an die Schönheit dieses faszinierend-unheimlichen Bildes:am weitesten zu­rück die schwarze Schattenmasse des Waldes, vor dem Walde das Feuer und vor dem Feuer der Schnee." (I, 1, 122)Sie kennt nicht Gut und nicht Bös" (I, 1, 109), hatte der Pfarrer, der sich ihrer zuerst annahm, ahnungsvoll von Hilde gesagt. Sie erwidert die Liebe des Jungen im übrigen ebensowenig wie später die seines Vaters, erfüllt nur einerseits von der Angst vor einer Bindung und andererseits von der Sehnsucht nach Weite und Ruhe:

In diesen Zusammenhang gehören die Chiffre des Hauses und der Symbol­bereich des Sternenhimmels, die sich an bedeutsamen Stellen im Text finden. Die schließiiche Auflösung von Hildes Problematik, ausgelöst dadurch, daß die Gräfin das illegitime Kind ihres Hauses annimmt, kommt im ganzen etwas überraschend wie ihre Hinwendung zu christlich motiviertem sozialen Tun. Dennoch bleibt ihr ihre Lebensschwäche, die sie den Tod zwar nicht suchen, ihn aber ohne Widerstand akzeptieren läßt. Fontane hat geurteilt, Hilde ver­kläre sich am Ende,ohne den Grundton ihres Wesens zu ändern" 10 womit wiederum auf die Problematik Effi Briests vorausgewiesen wird.

Auf die Beziehung zwischen Hilde und dem Melusine-Komplex hat als erster, W'enn ich richtig sehe, Gustav Radbruch hingewiesen: 17Fremd war seinem (Fontanes] Wesen und Leben auch das Dämonische, wenn man in ihm eine zerstörerische und schöpferische Kraft sieht und nicht jene von Fontane selbst als dämonisch empfundene elementare Apathie, Kühle und Fühllosigkeit, die er in der Hilde (Ellernklipp) dargestellt hat und in der Oceane von Parceval gestalten wollte."