Oceane von Parceval bildet den Mittelpunkt dieser ganzen Gestaltenreihe, insofern in ihr die Melusinen-Thematik im engeren Sinne am deutlichsten ausgesprochen ist. Vorangegangen war ihr die schon erwähnte knappe Melu- sinen-Skizze aus den Jahren 1877 oder 1878, ebenfalls eine Gestalt, die ganz dem Wasser als ihrem Lebenselement zugeordnet werden sollte („An der Kieler Bucht"). Von ihr heißt es: „Das Märchen ist eine Art Wassernixe, das Wasser ist ihr Element: baden, schwimmen, fahren, segeln, Schlittschuh laufen. Alles was künstl. oder liter. damit zusammenhängt, entzückt sie, drüber liest sie, davon spricht sie und schreibt sie, sie hat Bücher und Bilder dieses Inhalts. Sie liebt das Melusinen-Märchen und Mörikes Gedicht von der .Windsbraut'. Und elementar geht sie unter. Sie verschwindet; man wei5 nicht wie; nur sagen- und legendenhaft klingt es." (I, 5, 627) Den Schlittschuhlauf als Chiffre des Melusinenhaften nimmt Fontane später in der Gestalt Ebba von Rosenbergs wieder auf. Zunächst entfaltet er in dem Entwurf zu „Oceane von Parceval" (I, 5, 794—808), wiederum sehr programmatisch, was in einer späteren Ausführung hätte in Gestaltung umgesetzt werden müssen. Die Sehnsucht nach Befreiung aus dem Naturhaften, die Hilde Rochussen erfüllt, erscheint in Oceane gesteigert als Sehnsucht eines dem Wasser zugehörenden Elementarwesens nach Wärme des Gefühls und Teilhabe am Menschlichen, die ihr versagt sind. Dabei hat sie vieles von dem an sich gezogen, was schon die Existenzform Hildes bestimmte: „Es gibt Unglückliche, die statt des Gefühls nur die Sehnsucht nach dem Gefühl haben und diese Sehnsucht macht sie reizend und tragisch. Die Elementargeister sind als solche uns unsympathisch, die Nixe bleibt uns gleichgültig, von dem Augenblick an aber wo die Durchschnitts - Nixe zur exzeptionellen Melusine wird, wo sie sich einreihen möchte ins Schön-Menschliche und doch nicht kann, von diesem Augenblick an rührt sie uns. Oceane von Parceval ist eine solche moderne Melusine. Sie hat Liebe, aber keine Trauer, der Schmerz ist ihr fremd, alles, was geschieht wird ihr zum Bild, und die Sehnsucht nach einer tieferen Herzens-Teilnahme mit den Schicksalen der Menschen, wird ihr selber zum Schicksal. Sie wirft das Leben weg, weil sie fühlt, dal) ihr Leben nur ein Schein-Leben, aber kein wirkliches Leben ist. Sie weiß, daß es viele Melusinen gibt; aber Melusinen, die nicht wissen, daß sie's sind, sind keine; sie weiß es, und die Erkenntnis tötet sie." (I, 5, 794) Dem erhaltenen Roman-Schema nach geht Oceane ins Wasser, als sie geliebt wird und, von dieser Liebe ergriffen, sie erwidern möchte, ohne es doch zu können.
Ein bedeutsamer, die weitere Entfaltung dieser Figurenprobletmatik vorantreibender Zug ist ihre in einer ausgeführten Szene hervortretende Scheu vor dem Elementaren — womit sie auf Melusine von Barby vor aus weist. 18
Fontane nimmt das Melusine-Thema in einem seiner ersten Gesellschaftsromane wieder auf, der 1884—1888 entstandenen „Cecile". Er greift dazu auf den Figurenentwurf für Hilde Rasmussen zurück und treibt ihn weiter, befreit seine Gestalt nun aber von ihrer historisierenden Patina („Ellernklipp" spielt kurz nach dem Siebenjährigen Krieg). Die Macht des Illegitimen und Languis- santen, die Anziehungskraft von Apathie und weiblicher Schwäche auf das männliche Geschlecht — all das überträgt Fontane von Hilde auf Cecile. Auch Cecile „tut nichts, am wenigstens etwas Böses und doch verwirrt sie" — wenn
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