auch nicht gerade „regelrechte" — Verhältnisse. Daß zwei Männer vor dem Pistolenlauf ihres Gatten enden, hängt damit zusammen, dafj in Cecile das Naturhafte ihres Wesens zugleich als gesellschaftliche Rollenfixierung erscheint, die St. Arnaud auf keine andere Weise glaubt, aus der Welt schaffen zu können. Die apathisch-kranke, languissante Schönheit mit dem „Gemmenkopf" (I, 2, 186) hat eine Vergangenheit als ehemalige Fürstengeliebte und „Favoritin in duplo" (I, 2, 282). Obgleich, wie Gordon-Leslie empfindet, „eigentlich ihrer ganzen Natur nach auf Reifenwerfen und Ballspielen gestellt und dazu angetan, so leicht und graziös in die Luft zu steigen wie selber ein Federball" (I, 2, 188), enthält Ceciles Natur noch ein anderes Element: eine erotische Ausstrahlungskraft, die schon die Siebzehnjährige zur Mätresse erst eines alternden Fürsten und nach dessen Tod seines Neffen werden läfjt. Ihr bleibt aus dieser Vergangenheit ein auf „Huldigung und Pikanterie" (I, 2, 175) gestellter Zug, der sich auch in ihrer Ehe mit St. Arnaud nicht verliert. In Cecile tritt, noch eher beiläufig, erstmals ein neuer Zug des Melusinenhaften hervor, der dann für Melusine von Barby konstitutive Bedeutung erhält: die geheime Neigung zu einem gefährlichen Leben. Als St. Arnaud seine Gattin mit Einzelheiten aus Gordon-Leslies bisherigem Leben als Zivilingenieur bekannt macht, zeigt diese sich enttäuscht; auch dafj Gordon bereits durch verschiedene Weltmeere Kabel gelegt hat, bleibt in ihren Augen „trivial“, so dafj St. Arnaud sich erkundigt, was Cecile geneigtsein möchte, „nicht trivial zu finden", und zur Antwort erhält: „Abenteuer, Tigerjagd, Wüste, Verirrungen..." Das entscheidende Stichwort sogleich heraushörend, fragt er weiter: „Geographische oder moralische?", worauf Cecile, mit einem Wort vieles andeutend bekennt: „Beide." (II 192) In Cecile tritt aber auch die Bindung einer melusinenhaften Gestalt an das Elementare erstmals als Sinnlichkeit hervor. Mit den übrigen Melusinen-Gestalten Fontanes teilt sie indessen die Sehnsucht nach Befreiung aus dieser Gebundenheit, die Sehnsucht nach einem Menschlichen, das den Bereich des Geschlechtlichen als einzigen Bezugspunkt hinter sich gelassen hat. Aus dem Augenblickhaften blofjer Sinnlichkeit hinauszukommen und als Person Kontinuität und eigene Kontur zu gewinnen, darauf richtet sich ihre Sehnsucht: daher besitzt auch das Moment der Treue, selbst in ihrer problematischen Ehe mit St. Arnaud, eine so grofje Bedeutung für Cecile. Und darin gleicht sie wiederum Hilde aus „Ellernklipp". Wenn diese sich den Spruch „Ewig und unwandelbar ist das Gesetz" auf den Grabstein setzen läßt, dann liegt darin weniger ein Bekenntnis zu dem Gesetzesbegriff des Alten Testamentes als vielmehr die Hinwendung zur Treue als der Kernzone geistig-sittlichen Person- Seins, in welcher das blofj Naturhafte ihrer Existenz überwunden ist. Eben das kennzeichnet auch das Lebensproblem der ehemaligen Fürstengeliebten Neigung des Herzens, Freundschaft, selbstlose Liebe, die den Partner nicht zum Gegenstand blofjer Sexualität verdinglicht, sondern ihn zu sich selbst befreit, indem sie seine Rollenfixierung überwindet: das ist es, was Cecile von Gordon-Leslie erwartet, dem sich die Neigung ihres Herzens so rückhaltlos zuwendet. Aber gerade darin versagt Gordon; weil in Cecile das Naturhaft- Elementare zugleich im Gewand einer gesellschaftlichen Rolle erscheint, übernimmt auch der sonst so vorurteilslose Gordon-Leslie das von der Gesellschaft verhängte moralische Verdikt und fixiert Cecile auf ihre Vergangenheit: ihr bleibt nur noch der Schritt aus dem Leben hinaus.
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