Heft 
(1878) 17
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jetzt noch war sie beflissen nichts zu übereilen. War es nun, daß sie in der Hinausschiebung des Genusses eine Steigerung sah, oder hatte sie so ihre eigenen Hoppenmariekeschen Vor­stellungen davon, wie nun einmal ein erster Weihnachtstag ge­feiert werden müsse, gleichviel sie begnügte sich vorläufig damit, den aufsteigenden Dampf von der Seite her einzusaugen und zog dabei den Tischkasten weit auf, in dem, durch eine Scheide­wand getrennt, links das Gesangbuch, rechts die Karten lagen. Sie nahm das Gesangbuch, schlug das Christlied auf:Vom Himmel hoch da komm' ich her", las in recitativischer Weise, die sie selber für Gesang halten mochte, die drei ersten, dann die letzte Strophe, klappte wieder zu und that einen ersten tüchtigen Zug. Gleich darauf ging sie zu einem allerenergischsten Angriff auf den Napfkuchen über, der nun innerhalb zehn Mi­nuten von der Tischfläche verschwunden war. Sie strich die Krümel in ihre linke Handfläche zusammen und schüttete alles sorgfältig in den Mund.

Jetzt, wo der Fayencetopf keinen Nebenbuhler mehr hatte, war sie erst in der Lage, ihm zu zeigen, was er ihr war. Sie legte streichelnd und hätschelnd ihre Hände um ihn herum, untersuchte mit den Knöcheln alle Stellen, die einen kleinen Sprung hatten, bog sich über ihn und nippte, schlürfte und that dann wieder volle Züge. Nachdem sie so den ganzen Kursus des Behagens durchschmarutzt hatte, zog sie den Schub­kasten zum zweiten Male aus, nahm jetzt aber, statt des Ge­sangbuches, das Kartenspiel heraus. Es waren deutsche Karten Schippen, Herzen, Eichel; sie lagen in Form einer Mulde fest auf einander, was jedoch für Hoppenmariekens Hände keine Schwierigkeiten bot. Als sie wohl eine halbe Stunde lang aufgelegt, gemischt und wieder aufgelegt hatte, ohne daß die Karten kommen wollten, wie sie sollten, stieg ihr das Blut zu llopf. Der Schippenbube wich ihr nicht von der Seite. Das mißfiel ihr; sie wußte ganz genau, wer der Schippenbube war. Was? Ta lag er wieder neben ihr. Sie stand unruhig auf, nahm die Lampe, leuchtete hinter den Ofen, fah zwei-, drei­mal in den Alkoven hinein und setzte sich dann wieder. Aber die Beklemmung wollte nicht weichen. Sie schnürte deshalb das großgeblumte Kattunmieder auf, das sie trug, nestelte, zerrte, zupfte und fühlte nach einem Täschchen, das sie an einem Lederstreifen auf der Brust, trug. Es war da. Sie nahm es ab, zählte seinen Inhalt und fand alles, wie es sein mußte. Dies gab ihr ihre Ruhe wieder. Sie wollte es noch einmal versuchen und begann abermals die Karten zu legen. Diesmal traf es; der Schippcnbube lag weit ab. Ein häß­liches Lachen zog über ihr Gesicht; dann that sie den letzten Zug, schob einen großen Holzricgel vor die Thüre und löschte das Licht.

Als eine Stunde später der Mond ins Fenster schien, schien er auch auf das verwitterte Antlitz der Zwergin, das jetzt, wo sich das schwarze Kopftuch verschoben und die weißen Haarsträhnen bloßgelegt hatte, noch häßlicher war als zuvor. Der Blond zog vorüber; das Bild gefiel ihm nicht. Hoppen- marieken selbst aber träumte, daß Schippenbube sie am Halse gepackt habe und an dem Lederriemen zerre, um ihr die Tasche abzureißen. Sie rang mit ihm; der Angstschweiß trat ihr auf die Stirn; dabei aber rief sie:Wart, ich sag's; Diebe, Diebe!"

Durch das öde Hans hin klangen diese Rufe. Die Vögel stiegen langsam von ihren Sprossen und starrten durch ihre Gitter auf das Bett, von wo die Rufe kamen.

IX. Schulze Kniehase.

Dem Kruge gegenüber lag der Schulzenhof. Er bestand aus einem Ziegeldachhaus, an das sich nach rückwärts zwei lange schmale Stallgebäude anlehnten, die durch eine Scheune mit einander verbunden waren. Auf dem Hofe war der Schnee zusammengeschippt, so daß er eine Mauer bildete; die Stallthüren standen auf, aus denen die warme Luft wie ein Nebel ins Freie zog. An der Schwelle saßen Sperlinge und pickten einzelne Körner auf. Sonst alles still; auch der Hofhund feierte. In einer der Ecken zwischen Stall und Scheune stand seine Hütte; etwas von seinem Lagerstroh hatte er vor die Oeffnung geschoben, und

aus diesem Kissen lag nun sein spitzer Wolfskopf und sah be­haglich in den Morgen hinein.

Und still und festtäglich wie draußen auf dem Hofe, so war auch das Haus. Schon seine Treppe war mit Sand be­streut; in den Ecken der Vordiele standen junge Kiefern und füllten die Luft mit ihrem Harzgeruch; an einem Haken in der Mitte des Flurs aber hing ein Mistelbusch. Die Wohnstuben waren schon geheizt und die Kaminthüren geschlossen; nur zur Rechten, wo das große Besuchszimmer lag, knisterte noch ein Feuer und warf seinen Schein. Eine Katze strich ihre Flanken an den warmen Ecken, schnurrend mit gekrümmtem Rücken, zum Zeichen ihres besonderen Behagens.

In dem vordersten Wohnzimmer, uni einen schweren Eichen­tisch herum, befanden sich drei Personen. Dem Fenster zu­nächst, und diesem den Rücken zukehrend, saß ein breitschultriger Mann, ein Fünfziger. Sein Gesicht drückte Kraft, Festigkeit und Wohlwollen aus. Spärliches blondes Haar legte sich an seine Scheitel, er war sonntäglich gekleidet und trug eineu langen schwarzbraunen Rock. Die Frau zu seiner Linken, trotz ihrer vierzig, war noch hübsch, von dunklem Teint und wen­disch gekleidet. Ein breiter Kragen fiel über ihr Mieder von schwarzem Tuch, und der kurze Friesrock war in hundert Falten gelegt. Unter der engen Tüllmütze versteckte sich nur halb das glänzend schwarze Haar. Aller Schmuck war silbern. Um den Hals schlang sich eine starke, vorn auf der Brust durch einen Schieber zusammengehaltene Kette; die Ohrgehänge glichen großen silbernen Tropfen.

Dies war das Schulze Kniehasesche Paar. Dem Alten gegenüber, im vollen Fensterlicht, saß die Tochter des Hauses, Maria, ebenso aufrecht wie Tages zuvor am Kamin des Herren­hauses. Sie trug dasselbe Taftkleid, dasselbe rothe Band im Haar; und mit derselben Aufmerksamkeit, mit der sie gestern den Erzählungen Lewins gefolgt war, folgte sie heute der Vor­lesung ihres Vaters, der zuerst das Weihnachtsevangelium, dann das 8. Kapitel aus dem Propheten Daniel las. Der alte Kniehase hatte dies Kapitel mit gutem Vorbedachte ge­wählt. Mariens Hände lagen still in ihrem Schoß. Und als die Stelle kam:Und nach diesem wird aufkommen ein frecher und tückischer König, der wird mächtig sein, doch nicht durch seine Kraft, und durch seine Klugheit wird ihm der Betrug gerathen und er wird sich auflehnen wider den Fürsten aller Fürsten; aber er wird ohne Hand zerbrochen werden" da wurden ihre Augen größer, wie sie es bei der Erzählung von dem Feuerschein im Schlosse zu Stockholm geworden waren, denn, erregbaren Sinnes, nahm jegliches wovon sie hörte, leben­dige Gestalt an. Sonst blieb alles in gleichem Schlag. Das Rothkehlchen, mit leisem Gezirp, hüpfte aus dem Ring auf die Sprossen und wieder von den Sprossen in den Ring; in gleich­mäßigem Takt ging der Pendel der Gehäuseuhr. Und so ging auch des Schulzen Kniehase Herz.

Kniehase, der aus einer pfälzischen Kolonie stammte, hatte als Soldat Peter Kümmeritz in der Schlacht das Leben ge­rettet. Er war dadurch in nähere Beziehungen zu dieser Familie getreten, hatte Trude Kümmeritz, die Schwester seines Freundes, heimgeführt und sich in Hohen-Vietz angekauft. Hier hatte er sich bald so bewährt, daß er, als der alte Schulze starb, ein­stimmig zu dessen Nachfolger gewählt wurde.

Die Kniehases waren ein glückliches Paar; aber kein Glück ist vollkommen: sie blieben kinderlos. Da traf es sich, daß auch eine Tochter ins Haus kam, kein eigenes Kind und doch ge­liebt wie ein solches.

Es war um Weihnachten 1804, zwei Jahre früher, als die Frau von Vitzewitz starb, da kam einstarker Mann" ins Dorf, einer von jenen fahrenden Künstlern, die zunächst in rothem Trikot mit fünf großen Kugeln spielen und hinterher ein Taubenpaar aus eiuem Schubfach auffliegen lassen, in das sie vorher eine Uhr oder ein Taschentuch gelegt haben. Der starke Mann schien bessere Tage gesehen zu haben; seine ganze Haltung deutete darauf hin, daß er nicht immer in einem Planwagen von Dorf zu Dorf gefahren war. Er hielt jetzt vor dem Schar­wenkaschen Kruge, führte das magere Pferd in den Stall, und am Abend war Vorstellung. Ein kleines Mädchen, das zehn