Heft 
(1990) 49
Seite
441
Einzelbild herunterladen

genommen hat. 1 Diese Adaption ist indessen nicht die einzige, die sich in diesem Kapitel nachweisen läßt. Eine weitere Vorlage, die darin verwoben ist, findet sich in Karl Leberecht Immefimanns Roman Münchhausen. Von einer geheimen Nähe" Fontanes zu diesem Autor spricht schon Paul Böckmann in seinem zuerst 1959 erschienenen Aufsatz ,Der Zeitroman Fontanes'. 2 Die Pas­sage, um die es hier geht, dokumentiert jedoch bei aller Annäherung im Detail gerade die grundsätzliche Entfernung Fontanes von Immermanns Roman.

Fontanes Kenntnis des Münchhausen ist durch mehrere Dokumente zweifelsfrei belegt. In einem Brief vom 4. Dezember 1857 bittet Fontane Wilhelm von Merckel, der imTunnel" den Namen Immermann trägt, um Übersendung deslthalrigen Münchhausen Ihres Taufpathen"; am 21. Dezember wiederholt er die Anfrage 3 und äußert sich schließlich am 18. Februar 1858 wiederum gegenüber Merckel ausführlich über den Roman:

Auch in Bezug auf denMünchhausen" Ihres Namensvetters, bin ich um ein paar Grade milder als Sie. Es ist wahr (über die Vortrefflichkeit der Dorf-Schilderungen kann kein Zweifel sein) daß sein Witz oft gesucht ist, aber es will mich bediinken, daß es mit den größten und berühm­testen Humoristen aller Völker so ziemlich dasselbe ist. [. . .] Was Im- mePmann [.. .] angeht, so kann ich nicht leugnen, daß er in der Sache gewöhnlich den Nagel auf den Kopf trifft und nur dadurch von Zeit zu Zeit langweilig wird, daß er auf den Nagel, bloß zu seiner eigenen Erbauung, noch los klopft, während dieser schon lange so tief sitzt wie er nur irgend sitzen kann. Es ist alles zu breit. Das sollBehagen des Humoristen" sein, wird aber oft Ledernheit des Philisters. 4 Von einer sehr gründlichen Lektüre des Buches zeugt endlich Fontanes eigenes Exemplar des Münchhausen, das im Theodor-Fontane-Archiv in Potsdam auf­bewahrt wird. Dort finden sich durchgehend bis zur vorletzten Seite des umfangreichen Romans Anstreichungen und Marginalien von der Hand Fon­tanes, 5 Bemerkungen, die vonvortrefflich" undfamos" übersehr gut" und gut" bis hin zugräßlich" undgrausam miserabel" reichen, wobei jedoch die Anzahl der positiven Urteile die der negativen bei weitem übertrifft. Die Stelle allerdings, um die es hier geht, hat Fontane nicht gekennzeichnet, doch sprechen die betreffenden Absätze in Vor dem Sturm für sich, wie im folgenden gezeigt werden soll. 0

Die Szene, die dem 14. Kapitel seinen Titel gibt, ereignet sich, nachdem die Gemeinde das Gotteshaus verlassen hat. Nur Marie Kniehase und Tubal Lada- linski bleiben durch einen Zufall in der Kirche zurück. Marie hat im Kirchen­stuhl ihr Gesangbuch vergessen, und während Tubal ihr bei der Suche hilft, wird das Kirchenportal von außen verschlosen:

Der alte Kubalke, von seinem Orgelchor herabkommend, hatte nicht bemerkt, daß noch wer in der Kirche war.

Marie fuhr zusammen, faßte sich indessen rasch und sagte:Wir sind eingeschlossen, bitte, pochen Sie schnell an die Tür."

Auch Tubal war erschrocken, aber anders als seine Gefährtin. Er fühlte sich wie von einem elektrischen Schlage getroffen.

Wozu pochen, Marie", sagte er,der Alte würde uns doch nicht hören. Und so wären wir denn Gefangene."

441