Spannungen, oszillierend zwischen Zuneigung und Distanz. Diese Spannungen werden nun an drei sakralen Gegenständen sinnfällig, die sowohl im Münchhausen als auch in Vor dem Sturm auf je andere Weise eingesetzt werden Es sind dies der Taufstein, die Totenkrone bzw. der Grabstein und schließlich das Altar tuch.
Der Taufstein erfüllt im Münchhausen die Funktion eines Sinnbildes für Geburt und Leben. Oswald betreibt „Wiedertäuferei" (463) an Lisbeth und sich selbst und deutet seine Handlung mit den Worten:
„Dieses Wasser weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das Leben so fort — lange, lange, heißt Leben und ist keins — und dann bricht das wahre Leben auf, und man sollte dann von neuem taufen."
(463 f.)
Im Gegensatz zur Symbolhaftigkeit dieses Taufsteines erscheint das Becken, das Marie und Tubal besehen, als ein eher prosaischer Gegenstand, der jedenfalls nicht in der gleichen Weise mit Geburt und Leben in Beziehung gebracht wird wie bei Immermann. Zudem ist der Taufstein in der Kirche zu Hohen- Vietz in keinem guten Erhaltungszustand, und Marie übergeht ihn knapp mit den Worten:
Von dem zerbrochenen Taufstein, von dem die Leute sagen, er sei tausend Jahre alt, will ich Ihnen nicht erst erzählen, Sie glauben es doch nicht [...].
(323)
Das Thema der „Zerbrochenheit", das in dieser Erwähnung des Taufbeckens anklingt, wird noch stärker hervorgehoben im Vergleich der beiden Symbole, die bei Immermann wie bei Fontane dem Tod zugeordnet sind. Die „Totenkrone" (464) im Münchhausen dient zur Stiftung der Verbindung zwischen Lisbeth und Oswald: Von den „Füttern und glänzende(n) Ringe(n)" (464), die von dieser Krone herabhängen, nimmt Oswald zwei Ringe, die schließlich zu den Verlobungsringen umfunktioniert werden: „und sind keine anderen Ringe zur Hand, so nehmen wir sie vom Sargschmuck, denn das Leben ist stärker als der Tod." (464).
Der Name des Mädchens, dessen Sarg mit der Totenkrone geschmückt ist, interessiert die beiden Liebenden nicht — im Unterschied zu dem Namen der Frau, deren Grabstein Marie und Tubal Anlaß zu Betrachtungen gibt. Katharina von Gollmitz liegt in der Kirche von Hohen-Vietz begraben, die Freundin eines früheren Fräulein von Vitzewitz. deren Vornamen Marie zwar vergessen hat, die sie aber wie das gegenwärtige Fräulein von Vitzewitz „Renate" nennt, sehr zum Unwillen Tubals, der erkennt, daß sich der Name wie seine Trägerin zwischen ihn und Marie schiebt:
„Renate und immer wieder Renate. Wozu, was soll es? Ich bitte Sie, nur jetzt nicht diesen Namen; ich mag ihn nicht hören. Er will sich zwischen uns stellen, aber er soll es nicht. Nein, nein, Marie!"
(325)
So hat der Grabstein der Katharina von Gollmitz indirekt Tubals Erkennen des Abstandes zwischen ihm und Marie hervorgerufen. — Das Trennende zwischen den beiden wird schließlich in der Szene am Altar offenkundig, und es ist diese Szene, in der auch die Gegensätze zwischen dem Geschehen im
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