Heft 
(1878) 19
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Aus der Zeit -

Der Man.

Eine strategische Klan derer.

DerPlan" ist bekanntlich ein geheimnißvolles Wesen, das in allen Kriegen eine große Rolle spielt und von dessen Besitz Sieg oder Niederlage abhängen. Er ist ein naher Verwandter desKriegsraths" und hat eine sehr ähnliche Bedeutung wie dieser. Seine größte Eigenthümlichkeit besteht darin, daß er niemals recht zu Tage kommt, sondern seine Existenz hinter den Koulissen fristet. Regelmäßig bleibt er aus, wenn er das Vaterland retten soll, und er am lebhaftesten erwartet wird. Die Feldherren mit dem Plan" sind meistens geschlagen worden. Wenn ihre Strategie gerade im Begriff war, die ersten Vlüthen zu treiben, kam der böse Feind dazu und oerdarb alles, oder die eigenen Landsleute verloren zumPlane" ihres Feldherrn das Vertrauen und erstickten ihn durch dessen Abberufung im Keime.

Feste Gestalt gewinnt der Plan, sobald einem großen General ein Denkmal gesetzt wird. Dieser hält ihn dann in der Hand, eine Rolle, die wie ein Trauerspiel-Manuskript aussieht, und in deren Inneren man sich nach Belieben jede Sorte strategischer Weisheit denken kann. In der illustrirten Kriegschronik kommt er gleichfalls vor. Der Oberbefehlshaber hat ihn dann unter dem Kopfkissen seines Feldbettes liegen, und glatt wie eine Schlange schleicht der Spion heran, um ihn hervorzuziehen und der Gegenpartei auszuliefern.

Feldmarschall Moltke hatte 1870/71 auf allen Bildern seinenPlan" bei sich, um, wenn eine Nachricht kam, hineinzublicken, was er gerade für diesen Fall darin geschrieben. Geht doch auch jetzt die Mähre, der große Stratege habe für alle künftigen Kriege denPlan" schon fix und fertig in einem Fache seines Arbeitstisches.

Und wie oft ist nichtder tägliche Kriegsrath in Versailles" dargestellt worden. Wenn ich nicht irre, verewigte ihn der selige Schlachtenmaler Fritz Schulz sogar in einem größeren Oelbilde. Trotzdem' hat er niemals existirt.

Der alte Fritz ernannte einstens einen wohlbeleibten Herrn uom Hofe, der ihn lange um Beförderung angegangen, mit den Worten zum Kriegs­rath:Ich will Ihn zu Meinem Geheimen Kriegsrath machen, aber nur unter der Bedingung, daß Er sich niemals untersteht, mir im Kriege einen Rath zu geben."

Bei keiner Gelegenheit ist allzuvieler Rath so verderblich, wie im Felde und nicht minder gefährlich sind diePläne."

Die Generale mit dem unausgeführten Plan beantragten hinterdrein in der Regel ein Kriegsgericht. Aber auch dieses brachte jenen niemals recht heraus und hüllte sich schließlich in wohldurchdachtes Schweigen. Des Pu­dels Kern war am Ende, daß sie gar keinen gehabt, ja, daß derPlan" überhaupt nur in der Vorstellung des Publikums, nicht aber in den Gene­ralstäben oder Kriegsministerien existirt. Freilich ward Graf Giulay's Plan unsterblich durch dasrückwärts concentriren", derjenige Benedek's durch denNebel von Chlum." Auch heute noch glaubt der Pariser Gamin, Trochu habe seinenPlan" nur in irgend einer Schublade verlegt gehabt, sonst wären die kruesions niemals durch den uro clo tricnnxüs gezogen. Die Türken kehren vielleicht noch in letzter Stunde zu Abdul Kern'n Pascha und seinemPlane" zurück. Dennoch sind auch diesePläne" nichts als Schat­ten. Sie haben niemals auf der bewußten Nolle gestanden, sind nie von ihren Besitzern in der vorgestreckten rechten Hand gehalten worden, wie auf den Standbildern, und noch weniger wurden sie jemals von pfiffigen Spionen unter dem Kopfkissen hervorgezogen.

Am weitesten gediehen ist vielleicht der Kricgsplan, den der General Bumm in der Aruncla OnLÜssse elo Oörositsin seiner schönen Gebieterin entwickelt. Auch er indessen theilte das Loos seiner Mitpläne. Cr wurde dadurch unterbrochen, daß die Aranäo Dnolrosss mit einem allerliebsten Schnippchen ihrer Reitgerte dem treuen Feldherrn auf die tapferen Finger klopfte. Das that wenigstens die Schneider im tiroütro vnristö zu Paris, und sie hatte ganz Recht; denn sonst wären wohl auch die Gerolsteiner ge­schlagen worden.

Wenn ich nun den Plänen sammt und sonders ihre Existenzberechtigung abspreche, berufe ich mich dabei zugleich auf die erste Autorität in diesem Fache, auf das Werk des großen Generalstabs. Dort steht auf Seite 73: Nur der Laie glaubt in dem Verlaufe eines Feldzuges die voraus geregelte Durchführung eines in allen Einzelheiten festgestellten und bis an das Ende eingehaltenen ursprünglichen Planes zu erblicken."

Dennoch hat derPlan" durch eine gewisse Nnausrottbarkeit sich das Bürgerrecht erworben. Wir begegnen ihm täglich in den Zeitungsspalten, und da die Welt nun einmal voll Krieg und Kriegsgeschrei ist, lohnt es vielleicht der Mühe, ihm, oder vielmehr seinem Doppelgänger in Kürze auf den Leib zu gehen.

Der richtigePlan", wie ihn sich die Bierstrategen abends beim Schop­pen denken, ist nach dem Rezept entworfen, das die alte Dienstinstruktion dem Infanteristen an die Hand gibt, um sich des feindlichen Reiters zu entledigen. Auf die Frage:wie verfährt der Infanterist, wenn er von einem Kavalleristen verfolgt wird?" heißt dort die Antwort:er lockt ihn in einen Sumpf, läßt ihn absitzen und nimmt ihn gefangen, oder sticht ihn nieder, wenn er sich wehrt." In demPlane" wird der Feind zuerst auch in eine nachtheilige Stellung gelockt, dann umzingelt, wie die Türken auf der Schipkahöhe und zuletzt zur Kapitulation gezwungen oder vernichtet. Nichts leichter als dies; nur schade, daß der Feind nicht immer so gutmüthig ist, sich's gefallen zu lassen.

Aller strategischen Weisheit Kern besteht heutzutage darin, die feindliche Hauptarmee aufzusuchen und sie zu schlagen, wo man sie findet. Das ist die Strategie Napoleon's I. gewesen; das war recht eigentlich die deutsche Strategie von 1806 und 1870. So einfach dieser Grundsatz klingt, hat er doch nicht immer gegolten. Es gab Zeiten, da die Kriegsgelehrten es zu­vörderst für wichtig hielten, die Wasserscheiden zu beherrschen. Fürst Schwar- zenberg's und seines Stabschefs Anhänglichkeit an das Plateau von Langres fußte auf dieser Marotte. Später galt der Besitz derinneren Linien" d. h. der Radien, welche zu der von den Stellungen des Feindes gebildeten Pere- pherie gehören, für das Geheimniß des Sieges. Die Russen beherrschten die inneren Linien in Bulgarien von Ende Juli bis zum 10. Dezember, aber sie halsen ihnen doch erst etwas, als Osman Pascha nicht mehr zu

- für die Zeit.

ihren Gegnern zählte. Die Blütezeit jener künstlichen verzwickten Strategie war die Epoche der Koalitionskriege und ein wenig davon rettete sich noch in den Anfang unseres Jahrhunderts hinüber. Die Mak und Massenbach waren ihre gelehrtesten und begabtesten Vertreter; beide zum Unheil der­jenigen Partei, denen sie ihren Degen und ihre trotz allem unläugbaren Talente weihten. Massenbach war bekanntlich der König aller Planmacher, der sdnnach strebte, für jeden Kriegsfall einenPlan" vorräthig zu halten. Wunderlicher Weise fehlte im Jahre 1806, als die Franzosen kamen, nur ein einziger von allen, nämlich derjenige gegen Frankreich, an den man gar nicht gedacht hatte. Eine von MassenbachsRegeln der Kunst" führte nach der Niederlage von Jena bekanntlich auch den Fürsten Hohenlohe ins Verder­ben. Der Fürst wollte von Rathenow aus auf den nächsten Wegen zur unteren Oder entkommen. Wahrscheinlich würde er die Armee gerettet haben, wenn nicht Massenbach ihm diesen Marsch, der das Fehrbelliner Luch zwischen die einzelnen Kolonnen bringen mußte, als ein strategisches Ungeheuer geschil­dert hätte. Lieber untergehen, als solch' eine Sünde an der heiligen Kriegs­kunst begehen. So kam es denn auch. Ueber dem Ausweichen nach Norden hinter das Luch ging die Zeit verloren, welche der Feinv dem Fürsten noch gelassen hatte, und die Armee mußte bei Prenzlau kapituliren. Aber Mas­senbach legte seinen Degen mit dem Bewußtsein nieder, sich ein reines stra­tegisches Gewissen bewahrt und sich durch keinen Frevel gerettet zu haben.

Die Feldzüge aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gestatte­ten die Künstelei und Spielerei bis zu einem gewissen Grade; denn die Heere repräsentirten durchaus nicht die ganze Kraft des Staates, sondern nur einen kleinen Theil davon. Ging das eine verloren, so konnte jeder größere Staat zur nächsten Campagne ein neues aufstellen. Der Krieg wurde auch nicht zur gegenseitigen Vernichtung geführt, sondern um ganz specielle Zwecke, den Besitz einer Festung, eines wichtigen Defilees, eines reichen Distrikts, um ein dynastisches Interesse. Erst die große Revolution und der fränkische Cäsar, den sie erhob, kam den Kriegskünstlern mit dem Kittern Ernst der Sache über den Hals und schwemmte ihren ganzen Kram von Prinzipien, von Regeln, Linien und Punkten schnell hinweg.

Heute sind die Armeen marschirende Staaten, die Völker in Waffen und mit ihrer Vernichtung bricht man die Kraft der letzteren. Das feindliche Hauptheer muß daher das erste Ziel sein, und der direkteste Weg es zu erreichen, ist die beste Operationslinie in's feindliche Land hinein. An zweiter Stelle spielt dann die Hauptstadt eine Rolle, deren Besitz durch die heutigen Kulturverhältnisse gegen früher an Wichtigkeit sehr gestiegen ist.

Die erste Versammlung der feindlichen Armee wird immer abhängig sein von politischen und geographischen Verhältnissen, aber sie läßt sich annähernd genau im voraus berechnen. Bis dahin also können auch die eigenen Entwürfe nur reichen. Der Aufmarsch unserer Armee kann und muß schon'im Frieden bis in's kleinste genau ausgearbeitet und geregelt werden. Damit aber ist auch alles gethnn, waS derPlan" zu leisten vermag; denn:sehr bald begegnet unserem Willen der unabhängige Wille des Gegners. Dieser kann beschränkt werden, wenn man rechtzeitig zur Initiative fertig und entschlossen ist, aber man vermag ihn nicht anders zu brechen, als durch das Gefecht."*)

Der erste größere Kampf verändert die Lage beider Theile sofort. Ganz neue Bedingungen folgen jeder Schlacht Kein Friedrich, kein Napoleon, kein Moltke oder Gneisenau hätte 1870 Voraussagen können, daß Marschall Bazaine sich mit seiner Armee nach Metz hineinwerfen, und daß Mac Mahon, um ihn zu befreien, nach Sedan marschiren werde. Im gegenwärtigen Kriege haben die Russen, wie bekannt, den Vorschlag General von Valentini's adoptirt, der vor nahezu SO Jahren dazu rieth, das bulgarische Festungs­viereck westlich zu umgehen und über den Schipkapaß nach Adrianopel vor­zudringen. Aber auch Valentini vermochte nimmermehr zu ahnen, daß Osman Pascha der Jnvasionsarmee in die rechte Flanke rücken, daß diese ihn dreimal unvorsichtig angreifen und drei Schlachten verlieren würde, so daß endlich alles für mehr als vier Monate ins Stocken gerieth.

Wie weit derPlan" zu greifen vermag, lehrt am besten Feldmarschall Moltkes berühmtes Memoire vom Winter 1868 zu 1869; denn es beschäftigt sich eben nur mit dem Aufmarsch der Heere am Rhein und deutet für die Zukunft lediglich an, es müsse das Streben der Deutschen sein, den Feind von seiner Rückzugsrichtung auf Paris nach Norden hin abzudrängen. Dieser eine große Gedanke ließ sich fesihalten und er wurde auch in den kritischsten Augenblicken nicht aufgegeben. Selbst am Abende der Schlacht von Vionville, als Marschall Bazaine mit ungeheurer Ueberzahl vor dem Prinzen Friedrich Karl stand, und er nur unter furchtbaren Opfern einen Tag lang festgehalten worden warals die Schlacht sich am anbrechenden Morgen unterden ernstesten Verhältnissen zu erneuern drohte, wich man keinen Finger breit davon ab. Das Schreiben, welches dem Prinzen nächtens in Gorze zuging, enthielt die Worte:Die Entscheidung des Feldzuges beruht darin, die von Metz weichende Hauptmacht des Feindes nördlich zurückzuwerfen."

Sowie derPlan" über die erste ernsthafte Berührung mit dem Feinde hinausgeht, wird er zu einer unnützen Studie, welche leicht schädlich wirken kann, weil sie ein bestimmtes Bild von der Zukunft bei den Heerführern erzeugt, und dessen Ausbleiben dann Neberraschung und Unsicherheit Hervor­rufen muß.

Nach den einleitenden Gefechten und Schlachten gilt es stets, den An­forderungen des Augenblicks zu genügen, sie aber bestmöglichst mit der einen allgemeinen Idee des Feldzuges in Einklang zu bringen. Das geschah, als die deutschen Heere schnell nach Sedan abmarschirten, wie der Feind sich dorthin wendete, aber sofort wieder Paris zum Ziele nahmen, nachdem er beseitigt war. Den wechselvolleu Entschlüssen des Gegners muß man die volle eigene Freiheit gegenüberstellen und darf nicht gebunden sein durch ein in allen Details feststehendes Programm.

Eigenthümlich nehmen sich daher alle Projekte aus, welche weiter gehen, als bis zum Aufmarsch der Heere, und die man später mit der Wirklichkeit ver­gleicht. Kaiser Nikolaus I. kannte die europäische Türkei aus eigener Erfah­rung, da er den Feldzug von 1828 persönlich leitete. Er beschäftigte sich unausgesetzt mit dem Türkenkriege und als dieser 1853 wieder vor der Thür stand,entwarf er den abenteuerlichsten Plan, der sich denken läßt, so wunder­lich, weil er über die ersten Ereignisse hinweg gleich an's Ziel ging.Ein mit Hilfe der Flotte geradeswegs gegen den Bosporus und Konstantinopel ge­richteter Angriff, glaube ich, wird die ganze Sache schnell entscheiden," schrieb

') GcveralstMwerk. Heft I, S> 73-