Heft 
(1878) 20
Seite
313
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Ein deutsches Fmilienblatt mit Iltusteationen.

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XIV. Jahrgang. Abgegeben «IN 16 . Flbttilir 1878. Der

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Weber 1877 bis dahin 1878. 1878. ^5 20.

Wor dem Sturm.

Historischer Roman von Theodor Fontane.

Nachdruck verboten. Ges. v. 11./VI. 70.

(Fortsetzung.!

XVII. Allerlei Freunde.

Dieallerlei Freunde" bildeten einen weiteren und einen engeren Kreis. Der engere Kreis war eine Siebenzahl und bestand aus folgenden Personen: Graf Drosfelstein auf Hohen-Ziesar, Präsident von Krach auf Bingenwalde, Generalmajor von Bamme auf Qnirlsdorf, Baron von Pehlemann auf Wusche- wier, Domherr von Medewitz auf Alt-Medewitz, Hauptmann von Nutze auf Protzhagen, Dr. Faulstich in Kirch-Göritz.

Die vornehmste Erscheinung in Schloß Gnse, zugleich dem Zirkel am längsten angehörig, war Graf Drosselstein. In Königsberg geboren, in dessen Nähe auch die Familiengüter lagen, war er, trotzdem er die Provinz gewechselt hatte, ein vollkommener Repräsentant des ostpreußischen Adels. Dieser Adel, dem Hofe und demDienste" ferner stehend, hatte freilich wenigstens damals noch darauf verzichten müssen, seinen Namen gleich ruhmreich wie die märkisch-pommerschen Familien in unsere bis dahin wenig mehr als eine Reihe von Schlachten darstellende Geschichte einzutragen, aber was ihm dadurch an Volksthümlichkeit und historischem Klang verloren gegangen war, war wieder ausgewogen worden durch das Bewußtsein ge­wahrter Unabhängigkeit. Weniger ein- und untergeordnet in das Räderwerk des militärisch-bnreaukratischen Staates, hatte sich ganz Ostpreußen und besonders sein Adel im Einzelnen zu seinem Nachtheil, im Ganzen zu seinem Vorzug eine aus­gesprochene provinzielle Eigenthümlichkeit zu bewahren gewußt.

Der Graf hatte nur kurze Zeit dem Staate gedient. Mit zwanzig Jahren in das erste Bataillon Garde tretend, aber schon nach Ablauf eines Jahres, gesundheitshalber, den Abschied nehmend, war er froh gewesen, den Anblick des Potsdamer Exerzierplatzes mit dem der Marine von Nizza vertauschen zu können. Wieder hergestellt, durchzog er Italien, lebte, ganz dem Studium der Kunst hingegeben, erst in Rom, dann in Paris, und beschloß seinegroße Tour" durch einen Ausflug nach Holland und England.

Er war Ausgangs der Dreißig, als ihn, um 1788, Fa-

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milienangelegenheiten an den Petersburger Hof führten. Hier machte er die Bekanntschaft einer Komtesse Lieven, die ihn durch ihre durchsichtige Alabasterschönheit in demselben Augenblicke gefangen nahm, in dem er sie sah. Seine Werbung wurde nicht zurückgewiesen; die Kaiserin selbst beglückwünschte das schöne Paar, das sich, unmittelbar nach der mit großer Pracht und unter Theilnahme des Petersburger Hofadels gefeierten Vermählung, auf die ostpreußischen Güter des Grafen zurückzog.

Aber das stille Glück der Flitterwochen erschien der jungen Gräfin bald zu still. Sie sehnte sich nach dem zerstreuenden Leben derGesellschaft" und da weder die politischen Verhält­nisse noch die Gesinnungen des Grafen ein erneutes Auftreten am russischen Hofe das die junge Gräfin allerdings am liebsten gesehen haben würde ausführbar erscheinen ließen, so wurde die Uebersiedelung nach Hohen-Ziesar, einem urspüng- lich den märkischen Drosselsteins zugehörigem Gute, das erst vor zwei oder drei Jahren an die ostpreußische Linie gekommen war, beschlossen.

Von Hohen-Ziesar aus ermöglichte sich ein verhältnißmäßig leichter Verkehr mit der Hauptstadt, wo das Hofleben, das während der friederizianischen Zeit beinahe völlig geruht hatte, eben damals einen neuen Aufschwung zu nehmen begann. Es war nicht Petersburg, aber es war doch Berlin. Die junge Gräfin, wiewohl zeitweise von einem halb ermüdeten halb zer­streuten Ausdruck, als ob ihre Seele nach etwas Fernem und Verlorenem suche, gab sich nichtsdestoweniger den Zerstreuungen ohne Rückhalt hin. Sie galt für glücklich; sie schien es auch. Aber der durchsichtige Alabasterteint hatte nichts Gutes be­deutet; ein Blutsturz überraschte sie kurz vor einer Opernhaus- Vorstellung; eine Abzehrung folgte, sie starb vor Ausgang des Winters.

Der Graf war wie niedergeworsen. Er mied auf lange Zeit hin jeden Umgang; selbst in Schloß Guse, wo er damals schon verkehrte, blieb er aus. Als er wieder in der Gesellschaft erjchien, war seine Selbstbeherrschung vollkommen; aber er