Heft 
(1878) 20
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hatte jenen lebemännischen Frohsinn und die gesprächige Heiter­keit eingebüßt, die ihn früher ausgezeichnet hatten. Er lachte nicht mehr. Er hatte nur noch das Lächeln derer, die mit dem Leben abgeschlossen haben. Hier und dort hieß es, daß es nicht der Tod der jungen Gräfin allein sei, der diesen Wandel in seinem Wesen geschaffen habe. Er wandte sich großen Bauten zu; besonders waren es Parkanlagen, die ihn zu zer­streuen begannen. Hohen-Ziesar bot ein gutes Material, und so entstand im Geschmack jener Zeit eine kostspielige Schöpfung, die, während selbstverständlich alles miniature war, doch zugleich als eine große in Stein und Erde ausgeführte Alpen­reliefkarte gelten konnte. Granitblöcke wurden zu irgend einem Rigi anfgethürmt, über den Grat des Gebirges liefen zwei Pässe, die nach Mors oder Küstnacht führten, während ein aus unsichtbaren Quellen gespeister See einen kataraktreichen Bergstrom in die Tiefe schickte. Sennhütten und Matten lösten sich unter einander ab; zu Füßen dieser Künsteleien aber, in das wirkliche Oderbruch übergehend, dehnte sich eine reizende Flachland- scenerie mit Feld und Wiesen, mit Fluß, Bach und Brücken und einem stillen weidenumstandenen Teich, dessen japanisches Jnselhänschen die Schwäne umzogen.

An der Herstellung dieses Parkes nahm unsere Guser Gräfin, die sich zu allem Rocoeohasten hingezogen fühlte, den regsten Antheil, der Verkehr wuchs, Briefe wurden gewechselt, Konferenzen abgehalten, deren endliches Resultat nicht nur der Ausbau der Hohen-ZiesarschenSchweiz", sondern auch die Etablirung einer Freundschaft war, die sich seitdem, namentlich von Seiten der Gräfin, zu einer wirklichen, über Laune und Zerstrennngsbedürsniß weit hinausgehenden Intimität gesteigert hatte.

Dies konnte kaum ausbleiben. Denn so gewiß die Gräfin am Aparten hing, so wenig sie der Originalfiguren ihres Zirkels entrathen mochte, so sehr empfand sie doch auch, was der Mehrzahl derselben fehlte: Schliff, Bildung, Ton, vor allem jegliches Verständniß für Kunst und Schönheit. All dies besaß der Gras. Er hatte nicht nur die Höhe der Rheins­berger Gesellschaft, er übertras dieselbe sogar durch jenes nach­haltig wirkende Ansehen, das allein aus Selbstsuchtlosigkeit und reinem Wandel sprießt.

Ein bestimmtes Ereigniß gab der schon gefestigten Freund­schaft ein neues Band. Der Graf nahm Veranlassung, die Gräfin ins Geheimuiß zu ziehen; er erzählte ihr die Geschichte vom Hinscheiden seiner Frau, auch von dem, was diesem Hin­scheiden unmittelbar voransgegangen war. Es war das Folgende. Die junge Gräfin, nach einem heftigen Hnstenansall, schien in einen Zustand tiefen Schlummers zu verfallen, auch der Graf, ermüdet von tagelangem Wachen, schlief in seinem Lehnstuhl ein. Es war spät, nur eine Schirmlampe brannte. Als er er­wachte, bemerkte er, daß die Kranke ausgestanden war und sich der Tapetenthüre eines Wandschrankes näherte. Eine lethar­gische Schwere, zugleich ein dunkeles Gefühl, daß er die Kranke in ihrem Thun nicht stören dürfe, hielten ihn in seinem Lehn­stuhl fest. Er sah nun, daß sie zunächst ein Kästchen aus dem Schranke, dann aus einem verborgenen Fach des Kästchens eine Anzahl Briefe nahm, die mit einer rothen Schnur zu­sammen gebunden waren. Sie schritt wieder zurück, an ihm vorbei, glaubte sich zu überzeugen, daß er schlafe, und trat dann an den Kamin. Sie berührte die Briefe mit den Lippen, löste die Schnur und warf dann jeden einzelnen Brief vorsichtig, damit die Flamme nicht zu hell ausschlüge, in das halb er­loschene Feuer. Als alles verglimmt war, kehrte sie an ihr Lager zurück, hüllte sich in die Decken und athmete hoch auf, wie befreit von einer bangen Last. Es war ihr letztes Thun. Ehe der Morgen kam, war sie nicht mehr. Welch ein Tag für den U eberlebenden! Er hatte sich geliebt geglaubt; nun war alles Wahn und Traum! Wessen Hand hatte die Briefe geschrieben, die die Empfängerin bis zuletzt wie ein Aller- theuerstes gehegt hatte? Er frug es immer wieder; aber keine Antwort. Das Geheimniß war bei der Todten und der Asche im Kamin.

So hatte der Gras erzählt. Die Erzählung selbst aber, wie schon angedeutet, besiegelte die Freundschaft, die von jenem

Tage an unauflöslich zwischen dem Wittwergrasen auf Hohen- Ziesar und der Gräfinwittwe auf Schloß Guse bestand.

Dem Grafen im Range am nächsten stand Präsident v. Krach, ein Mann von Gaben und Charakter. Er galt als ein bedeutender Jurist, hatte durch hartnäckige Opposition den Zorn des großen Königs herausgefordert und seinerseits, in tiefer Verstimmung über die jbei dieser Gelegenheit erfahrene Unbill, sich nach Bingenwalde zurückgezogen. Er war hager, groß, scharf, wenig leidlich. Sein hervorstechender Zug war der Geiz. Er bean­standete jede Rechnung und bezahlte sie, nach dem Grundsätze: Zeit gewonnen, Zins gewonnen", immer erst nach eingeleitetem prozessualischen Verfahren. Die Betroffenen spotteten, daß es aus alter Anhänglichkeit an die Gerichte geschähe, zu denen sich sein juristisches Paragraphenherz doch immer wieder hingezogen fühlte. Am größten, wie alle Geizigen, war er im Kleinen. So hieß es, daß erim König von Portugal", in dem er, so oft ihn Geschäfte nach Berlin riefen, abzusteigen Pflegte, bei zwölf Grad Kälte eineViertelportion Heizung" bestellt habe. Eines besonderen Rufes genossen auch seine Diners, die, wie­wohl alljährlich nur einmal wiederkehrend, ein wahres Schreck- niß der gefammten Oderbruch-Aristokratie bildeten. Einzig und allein der alte Bamme den seine Trinkgelder und Cordial- equivoken zum Liebling aller als Livreediener eingekleideten Kutscher und Gärtner machten hatte sich bisher unter An­wendung von Flascheneseamotage diesem Schrecknis; zu entziehen gewußt, so daß beispielsweise Baron Pehlemann auf das ernst­hafteste versicherte:Nie, während sämmtlicher Krachschen Diners, sei seitens desGenerals" ein Tropfen anderen Weines als aus seinem eignen, Bammeschen Keller getrunken worden." Bamme selbst, ohnehin von einer beinahe krankhaften Neigung erfüllt, sein Husarenthum oonte gue oonts zur Geltung zu bringen, ließ sich solche Huldigungen gern gefallen, ermangelte aber andererseits nie, natürlich nur zu Gunsten neuer Malicen gegen Krach, seinen Schlauheitstriumph über diesen entschieden in Abrede zu stellen. Krach, so schwur er, sei viel zu scharf, um getäuscht werden zu können; er habe den Criminal und Jnquisitorialblick einer dreißigjährigen Praxis, er sehe alles, er wisse alles; aber freilich er schweige auch, weil er bei kleinem Aerger die großen Vortheile der Situation sofort überblicke und in Wahrheit nur von einer Frage bestürmt werde:warum sind sie nicht alle Bammes?"

Die Gräfin, persönlich von großer Freigebigkeit, nahm wenig Anstoß an diesem Geiz. Sie hatte lange genug gelebt, um zu wissen, daß das gegen sich selbst und andere gleich er­barmungslose Sparen den Körper fest und zäh, den Geist scharf und schneidig mache, vor allem auch der Ausbildung von Ori­ginalen günstig sei, freilich keiner angenehmen. Aber darauf kam es ihr nicht an. Was schließlich den Ausschlag zu Gunsten Krachs gab, war, daß auch der Prinz einen starken Hang zum Oekonomisiren gehabt hatte.

Die dritte Figur des Kreises war der schon mehrgenanute Generalmajor v. Bamme, oder derGeneral", wie er kurz­weg in Schloß Guse genannt wurde, ein kleiner, sehr häßlicher Mann mit vorstehenden Backenknochen und Beinen wie ein Rococotisch; die ganze Erscheinung Husarenhast, aber doch noch mehr Kalmück als Husar.

Er gehörte einem alten havelländischeu Geschlechte an, Haus Bamme bei Rathenow, das mit ihm erlosch. Die Wahr­heit zu gestehen, erlosch nicht viel damit. Seine eigene Jugend war hingewüstet worden; wunderbare Geschichten gingen davon um. Ein adliges Fräulein, das sich von ihm geliebt glaubte, Tochter eines Nachbars, hatte er in Unehre gebracht; den Bruder, der auf Eheschließung drang, jagte er vom Hose. Das Mädchen selbst, übrigens im Hause der Eltern bleibend, wurde irrsinnig.

Ein Jahr später starb der alte Bamme; Vater und Sohn waren einander Werth gewesen. Sie setzten des Alten Sarg auf eine Gruftversenkung, und neben den Sarg, eine Fackel in der Hand, stellte sich der Sohn. Er trug die rothe Uniform des Husarenregiments Zieten; die kleine Kirche war schwarz ausgeschlagen. In dem Augenblicke, in dem der Sarg niederstieg, rief die Irrsinnige, die sich auf dem Orgel-