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führte von Medewitz beständig bei sich, und mit ihnen war es, daß er seine gesellschaftlichen Attentate verübte. Wie es Menschen gibt, vor deren Anekdoten man, und wenn man in einer Begräbnißkutsche mit ihnen säße, nie ganz sicher ist, so war man nie sicher vor einer Medewitzschen Spieldose. Er war sich dieser Macht bewußt und übte sie, mitunter glücklich und taktvoll, durch Ausfüllung ängstlicher Pausen; aber viel häufiger noch folgte er den Eingebungen bloßer Laune oder verletzter Eitelkeit. Unfähig aus eigenen Mitteln zur Gesellschaft beizusteuern, wachte er eifersüchtig über allem, was durch Wissen oder Darstellungsgabe sich auszeichnete, und wenn vielleicht der glänzend aufgebaute Satz eines guten Sprechers eben seinen Abschluß erhalten sollte, durfte man sicher sein, aus bloßer Neidteufelei, eine Papagenoarie oder die „Schlacht bei Marengo" dazwischen treten zu sehen. Was das niederdrückendste war, war, daß das Mittel, wenn nur ein einziger Fremder bei Tische saß, trotz seiner Verbrauchtheit immer wieder wirkte. Der Gräfin wäre es ein leichtes gewesen, dieser Mißgunstsmusik ein Ende zu machen; aber so abgeschmackt sie das Gebühren fand, so freute sie sich doch jedesmal, den verlegenen Aerger der um ihren Redetriumph Betrogenen beobachten zu können.
Der unbedeutendste des Guser Zirkels war von Nutze, leidenschaftlicher Jäger, ein langer, sehniger, ziemlich schweigsamer Mann, ehemals Hauptmann im pommerschen Regiment von Pirch. Er hatte Protzhagen, das übrigens uralter Rntze- scher Besitz war, erst vor etwa zwanzig Jahren gekauft. Die Veranlassung dazu wurde wie folgt erzählt:
Nach Stargard hin, wo das Regiment von Pirch in Garnison lag, verirrte sich eine Topographie des Oderbruchs.
In dem Kapitel „Buckow und seine Umgebung" hieß es aus Seite 114: „Bei Protzhagen, einem Gute, das drei Jahrhunderte lang den Nutzes angehörte, zieht sich eine tiefe Schlucht, die „Junker Hansens Schlucht". Sie führt diesen Namen, weil Junker Hans von Nutze hier stürzte und verunglückte; dies war 1693. Er war der letzte Nutze." Kaum war von einem der Kameraden diese Notiz entdeckt worden, so hieß es in nicht endenden Scherzreden: „Nutze sei untergeschoben; es gäbe keine Nutzes mehr; der letzte läge längst in der Protzhagener Kirche begraben." Unser Hauptmann, kein Meister im Reparti, wurde mißmuthig; er nahm den Abschied und kaufte Protzhagen, um nunmehr an Ort und Stelle die Beweisführung anzutreten, daß es mit dem „letzten Nutze" noch gute Wege habe. Aber er verbesserte sich dadurch nur wenig. Die Stargarder Neckereien waren bekannt geworden und hatten nun auf Schloß Gnse ihren Fortgang. Bamme verschwor sich hoch und theuer, daß es mit einem der beiden „letzten Nutzes", dem jetzigen oder dem früheren, nothwendig eine sonderbare Bewandniß haben müsse. Entweder sei der selige Hans von Nutze nichts als eine gespenstische Vorerscheinung, eine Spiegelung von etwas erst Kommendem gewesen, oder aber der unter ihnen wandelnde Freund, ohnehin beinahe fleischlos, sei ein Revenant. Was ihn (Bamme) persönlich angehe, so gäbe er der ersteren Annahme den Vorzug, weil ihm darnach die Wirklichkeit der Dinge noch eine Hirschjagd, einen Schluchtensturz und einen den Hals brechenden Nutze schuldig sei.
Der alte Hauptmann folgte diesen Auseinandersetzungen jedesmal mit süßsaurem Gesicht, hatte sich aber längst aller Proteste dagegen begeben. Dann und wann schritt er seinerseits zum Angriff, ohne jedoch mit Hilfe dieses Kunstgriffs dem gewandten Bamme beikommen zu können.
Unter seinen sonstigen kleinen Schwächen war die be- merkenswertheste die, daß er sich, in Anbetracht seines aus Schluchten und Abhängen bestehenden Protzhagener Territoriums, für eine Art Gebirgsbewohner hielt. „Wir auf der Höhe" zählte zu seinen Lieblingsredewendungen.
Der Gräfin war er Werth durch einen besonderen Respekt, den er ihr entgegenbrachte. Denn wie sehr sie vorgeben mochte, über Huldigungen und Schmeicheleien hinweg zu sein, so war sie schließlich doch nicht unempfindlich dagegen.
Der siebente und letzte des „engeren Zirkels" war Doktor Faulstich. Ein späteres Kapitel wird von ihm ausführlicher erzählen.
XVIll. Vor Tisch.
Der ganze Freundeskreis, mit Ausnahme Dr. Faulstichs, welcher nach altem Herkommen den dritten Feiertag in Ziebingen zuzubringen pflegte, war nach Schloß Gnse geladen. Auch Lewin und Renate, wie wir wissen.
Diese waren die ersten, die eintrafen. Die Einladung hatte auf vier Uhr gelautet, aber eine volle Stunde früher schon bog der Schlitten Lewins in eine der großen Avenuen ein. Es war nicht mehr die Planschleife mit Strohbündeln und Häckselsack, in der wir zuerst die Bekanntschaft unseres Helden machten; Tante Amdlie, für sich selbst gelegentlich salopp, hielt auf Eleganz der Erscheinung bei anderen. Dem bequemten sich die Hohen-Vietzer nach Möglichkeit. Der Schlittenstuhl, mit einem Bärenfell überdeckt, zeigte die bekannte Muschelform, blaugesäumte Schneedecken blähten sich wie seitwärts gespannte Segel und statt des rostigen Schellengeläutes, das am Heiligabend unseren Lewin in Schlummer geläutet hatte, stand heute ein Glockenspiel auf dein Rücken der Pferde, und zwei kleine Haarbüsche wehten roth und weiß darüber hin. Die körnerpickenden Sperlinge flogen zu Hunderten in der Dorfgasse aus; so ging es auf das Schloß. Jetzt war auch die Sphinxen- brücke Passirt, und der Schlitten hielt. Lewin, rasch die Decke zurückschlagend, reichte Renaten die Hand, die nun mit der Raschheit der Jugend aus dein Schlitten aus eine über den harten Schnee hin ansgebreitetc Binsenmatte sprang. So ^
schritt sie dem Eingänge zu. Sie erschien größer als sonst, !
vielleicht in Folge des langen Seidenmantels, grau mit rothen !
Paspeln, aus dessen aufgeschlagener Kapuze ihr klares Gesicht ^
heute mit doppelter Frische hervorleuchtete. Denn die Fahrt ^
war lang, und es ging eine scharfe Lust. >
Der Flur umfing sie mit wohlthuender Wärme; in dem alt- !
modisch hohen Kamin, den zwei Dcrfflingersche Dragoner !
flankirten, brannte seit Stunden schon ein gut unterhaltenes j
Feuer. Ein Diener in Jägerlivree, der seinen Hirschfänger zu tragen wußte, nahm ihnen die Mäntel ab und meldete, daß >
sich die Gräfin ans wenige Minuten entschuldigen lasse. Dies ^
war die regelmäßig wiederkehrende Form des Empfanges. Lewin !
und Renate sahen verständnißvoll einander an und schritten ^
durch das Billard- und Spiegelzimmer in den „Salon". Sich ;
selbst überlassen, traten sie hier an das in einer breiten und -
tiefen Nische befindliche Eckfenster, dessen untere Hälfte aus >
einer einzigen Scheibe bestand. Damals etwas Seltenes und >
sehr bewundert. Die Eisblumen waren halb weggeschmolzen i
und gestatteten einen Blick ins Freie, lieber das Schwanen- i
Häuschen hin, das nur noch mit seinem Spitzdach aus dem verschneiten Schloßgraben emporragte, sahen sie gradans in eine kahle Kirschallee hinein, die sich bis an die Grenze des Parkes zog. An den vordersten Stämmen waren einige Dohnen- ^
sprengsel mit ihren rothen Ebereschenbüschelchen sichtbar, während am Ausgange der Allee der dunkele Carzower Kirchthurm stand, i dessen vergoldete Kugel eben in der untergehenden Sonne leuchtete.
Um die Geschwister her war alles still; sie hörten nur, wie das mehr und mehr abthauende Eis in einzelnen Tropfen in die Blechbehälter fiel. !
Dieser Platz am Fenster war anheimelnd genug; jeder andere Besucher aber würde es doch vorgezogen haben, das letzte Tageslicht noch zu einem Umblick in dem „Salon" selbst zu benutzen. Es war ein quadratischer Raum, der in seiner Einrichtung für eben so geschmackvoll wie wohnlich gelten konnte. Die ! den Fenstern gegenüber gelegene Seite wurde von einem halbkreisförmigen Divan eingenommen, der in der Mitte getheilt, einen Durchgang zu den Flügelthüren des Eßsaales offen ließ. ^ In den ebenfalls freibleibenden Ecken standen Lorbeer- und Oleanderbüsche, nach links und rechts hin vertheilt. Neben der Oleanderecke stieg eine Wendeltreppe auf, das zierlich durchbrochene Geländer von Nußbaumholz. Ein dicker Teppich, in dem das türkische Roth vorherrschte, deckte den Fußboden; sonst war alles blau: die Wände, die Gardinen, die Möbelstoffe. Rings umher, auf Säulen und Konsolen, erhoben sich Büsten und Statuetten, deren leuchtendes Weiß beim Eintreten den ersten Eindruck gab. Erst später traten auch die Bilder hervor, die stark angedunkelt in kaum geringerer Zahl als jene