Marmor- und Alabasterarbeiten das Zimmer schmückten. Es waren sämmtlich Erinnerungsstücke aus den Rheinsberger Tagen her. Da war zunächst das Porträt des Prinzen selbst, etwas barock in Auffassung und Behandlung, die Aufschläge von Tigerfell, die Hand auf ein Felsstück und einen Schlachtplan gestützt. Gegenüber Schloß Rheinsberg, feine Front im Wasser spiegelnd, über den See hin glitt ein Kahn, darin eine schöne Frau mit aufgelöstem Haar, blond wie eine Nixe, am Steuer saß. Es hieß, es sei die Gräfin. An den Fensterpfeilern, im Schatten und wenig bemerkbar, hingen die Pastellporträts der prinzlichen Tafelrunde: Tauentzien, die Wrenchs, Kuyphausen, Knesebeck; meistens Geschenke der Freunde selbst.
Lewin und Renate sahen noch der untergehenden Sonne nach, als sie aus der Tiefe des Zimmers her den Zuruf hörten: „8oz-W los lüsn-vsnus." Sie wandten sich und sahen die Tante, die von der Wendeltreppe her auf sie zuschritt. Die Geschwister eilten ihr entgegen, ihr die Hand zu küssen.
Die Gräfin trug sich schwarz, selbst die Stirnschnebbe fehlte nicht. Es war dies, dem Beispiele regierender Häuser folgend, die Wittwentracht, die sie seit dem Hinscheiden des Grafen nicht wieder abgelegt hatte. Im übrigen hätten Haube und Krause frischer sein können, ohne den Eindruck zu schädigen.
In der Nähe des Eckfensters stand eine „Causeuse", die denselben Bleu-de-Franceüberzug hatte, wie alle übrigen Möbel. Dies war der Lieblingsplatz der Gräfin; Renate schob ein hohes Kissen heran, während Lewin sich der Tante gegenüber setzte. Das Gespräch war bald in vollem Gange, mit französischen Wörtern und Wendungen reichlich untermischt, die wir in unserer Erzählung nur sparsam wiedergeben. Die Tante schien gut gelaunt und that Frage über Frage. Der Hohen-Vietzer Weihnachtsmorgen, sogar der Wagen Odins mußten ausführlich besprochen werden. Dies letztere war das überraschendste, denn in Sachen der Alterthümlerei blieb die Guser Gräfin wenig hinter Bamme zurück. Auch Maries wurde gedacht, aber nur kurz, dann lenkte das Gespräch zu den Ladalinskis hinüber, an die das Haus Vitzewitz durch eine Doppelheirath zu ketten, der sehnlichste Wunsch der Tante war. Ihr in diesem Wunsche nach Möglichkeit entgegen zu kommen, würde sich, da sie die Erbtante war, unter allen Umständen empfohlen haben; es traf sich aber so glücklich, daß der Guser Familienplan und die Herzenswünsche der Hohen-Vietzer Geschwister zusammen fielen.
„Wie verließest Du Tubal?" fragte die Tante.
„In bestem Wohlsein," erwiderte Lewin, „und ein Brief, der heute früh von ihm eiutraf, läßt mich aunehmen, daß die Feiertage nichts verschlimmert haben."
„Was schreibt er?"
„Ein Langes und Breites über literarische Freunde. Aber eine kurze Schilderung des Christabends und wie die Weihnachtslichter bei den Ladalinskis ziemlich trübe brannten, schickt er voraus. Er sagt auch einiges über Kathinka. Darf ich es Dir mittheilen?"
„äs vous SN pris."
Lewin entfaltete den Brief. Es dunkelte schon im Zimmer. Er rückte deshalb näher an das Fenster, dessen Scheiben in dem letzten Roth erglühten. Dann las er über die Eingangszeilen hinweg gehend: „In einem Hause, in dem die Kinder fehlen, wird das Christkind immer einen schweren Stand haben, so nicht etwa der Kindersinn den Erwachsenen verblieben ist. Und Kathinka, die so vieles hat (vielleicht weil sie so vieles hat) hat diesen Sinn nicht."
Lewin schwieg einen Augenblick, weil es ihm schien, daß die Tante sprechen wolle. Daun sagte diese: „Es ist eine richtige Bemerkung, aber es überrascht mich, sie von Tubal zu hören. Es ist, als ob Seideutopf spräche. Kathinka ist eine Polin, äit tont, und gerade das macht sie mir Werth. Kindersinn! Uötiss gtlsmancis. Wie mag nur ein Ladalinski so tief ins Sentimentale gerathen. best vrninisnt stounant! Ich würde die deutsche Mutter darin zu erkennen glauben, wenn nicht durch ein Spiel des Zufalls, pur nn sapries än gort in eben dieser Mutter mehr polnisch Blut lebendig gewesen wäre, als in einem halben Dutzend „inskis". Kinderfilm! Uisu m'sn
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Z-grcls! Ich bitte Euch, meine Thenren, verschließt Euch der eitlen Vorstellung, als ob diese deutschen Gefühlsspezialitäten die unerläßlichen Requisiten in Gottes ewiger Weltordnung wären."
Renate faßte sich zuerst und sagte: „Ich glaube, daß mir diese Vorstellung fremd geblieben ist, aber schon die Bibel preist den Kindersinn als^etwas Köstliches."
Die Tante lächelte. Dann nahm sie, wie sie zu thun pflegte, die Hand der Nichte, streichelte sie und sagte: „Du hast diesen Sinn, und Gott erhalte ihn Dir. Aber muß ich Euch, die Ihr mich kennt, noch erst Erklärungen geben? rl guoi bon? Gewiß ist es etwas Schönes um ein kindlich Herz, wie um alles, was den Vorzug des Natürlichen und Reinen hat. Aber das stete Sprechen davon oder das Geltendmachen, das immer j nur da sich einfindet, wo der Schein an Stelle der Sache getreten ist, das ist kleinbürgerlich-deutsch st voilä es gui ins tüslls.
Und das war es auch, was den Prinzen verdroß. In seinem Unmuth unterschied er dann nicht, ob er die Frommen oder die Heuchler traf; sonst so vorsichtig, wog er nicht länger ab, st inoi anssi ss n'girns pus g rnnrslmnäsr Iss inots. Ihr müßt i Abzüge machen, wo es noth thut. Inzwischen laß uns weiter s hören, Lewiu." s
Lewin fuhr im Lesen fort: „Als die Thüren eben geöffnet ! wurden, kam Graf Bninski. Er hatte Aufmerksamkeiten für ! uns alle, zu weit gehende für mein Gefühl, aber Kathinka schien es nicht zu empfinden."
„Aber Kathinka schien es nicht zu empfinden," wiederholte die Gräfin langsam den Kopf schüttelnd. Dann fuhr sie fort:
„Oll sst air bvnrAsois, ns ss psrära-t-il gamuis? Mit neuen Karten das alte Spiel, äs ns ls somprsnäs pas. So lange die Welt sieht, haben sich Jugend und Schönheit an Geschenken erfreut, au Pracht der Blumen, am Glanz der Steine. Sie passen zusammen. Aber Tubal erschrickt davor, U sn rssnls, und wird nachdenklich, als ob er eine durch Broche und Nadel in ihrer Tugend bedrohte Epiciertochter zu hüten hätte. Und das heißt Sitte! Sitte, Kindersinn, ss iss rsspsots, inuis s'sn ästest.« 1a sarieatnrs. Und davon haben wir Hierlandes ein gerüttelt und geschüttelt Maaß."
„Ich glaube," nahm jetzt Lewin das Wort, „Tubal em- ^ pfindet wie Du, wie wir alle. Sein Bedenken, wenn ich ihn recht verstehe, wurde nicht der Gabe, sondern des Gebers halber ( ausgesprochen. Gras Bninski nähert sich Kathinka, er bewirbt i sich um ihre Hand. Vielleicht daß ich mich irre, aber ich ( glaube nicht."
Die Taute war sichtlich überrascht. Dann fragte sie s hastig: „Und" der Vater?" !
„Er steht dagegen, auch Tubal. Sie schätzen den Grafen ^ persönlich, er ist reich und angesehen. Aber Du kennst die Gesinnungen beider Ladalinskis oder doch des Vaters. Und s Bninski ist Pole vom Wirbel bis zur Zeh." (
„Und Kathinka selbst?" " z
Es blieb bei dieser Frage, denn ehe Lewin antworten - konnte, wurden im Spiegelzimmer Stimmen laut, und dem zwei i Doppelleuchter vorantragenden Jäger paarweis folgend, traten ( jetzt erst Krach und Bamme, dann Medewitz und Nutze bei der t Gräfin ein. -
Nach kurzer Begrüßung wurde auf dem großen Sopha ( Platz genommen, und die Gräfin, abwechselnd an den einen ! oder andern ihrer Gäste sich wendend, theilte denselben mit, s daß Baron Pehlemann wegen eines neuen heftigen Podagra- j anfalles abgeschrieben, Drosselsteiu aber — durch Geschäfte s zurückgehalteu — erst für 4 7s Uhr sein Erscheinen zugesagt s habe. „Ich denke," so schloß sie, „wir warten ans ihn. Der ^ ersten Viertelstunde, die das Recht jeden Gastes ist, legen wir j die zweite zu." Alles verneigte sich, wenn auch unter geheimem Protest.
Eine solche Wartehalbestunde pflegt der Unterhaltung nicht .
günstig zu sein. Die Schweigsamen schweigen mehr denn je, s aber auch die Beredten halten ängstlich zurück, unlustig ihre ! vielleicht nur noch des Abschlusses harrende glänzende Anekdote durch die Meldung des eintretenden Dieners unterbrochen und zu ewiger Pointelosigkeit verurtheilt zu sehen. Bamme ge-