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hörte dieser letzteren Gruppe an, bezwang sich aber und war der einzige, der den ersichtlichen Bemühungen der Gräfin hilfreich entgegen kam. Freilich nur mit theilweisem Erfolg, lieber eine sprungweise Conversation kam man nicht hinaus, und die Fragen drängten sich, ohne daß eine rechte Antwort abgewartet wurde. Das Baron Pehlemannsche Podagra gab den dankbarsten Stoff. „Warum mußte er beim letzten Dachsgraben wieder zugegen sein? Ein Podagrist und zwei Stunden im Schnee! Warum riß er wieder den Rauenthaler an sich? Aber das ist so Pehlemannsche Bravour: ein freudiger Opfertod ans dem Altar der Gourmandise! Im übrigen, wo bliebe „Omlo irmsori?" Warum hat er nicht seine Muse citirt?"
„Er hat," entgegnete die Gräfin und nahm aus einer vor ihr stehenden Alabasterschale ein zierlich zusammen gefaltetes Billet. Aber die beiden Stntzuhren, auf deren gleichen Pendel
gang Tante Amelie mit peinlicher Gewissenhaftigkeit hielt, schlugen eben halb, die gewährte Frist war um, und die Flügel- thüren des hell erleuchteten Eßsaals öffneten sich pünktlich und lautlos nach innen zu.
Die Gräfin und Krach führten sich. In demselben Augenblick trat auch Drosselstein ein. Mit der Linken hinüber grüßend, wie um anzudeuten, daß er die Tischprozession nicht zu stören wünsche, bot er Renaten seinen Arm. Bamme und Lewin folgten, dann Medewitz. Nutze machte den Schluß.
Dieser ein leidenschaftlicher Schnupfer, benutzte die Gelegenheit, um ans der stehen gebliebenen Tabatibre der Gräfin zu naschen. Nicht ungestraft. Ehe er noch die Schwelle des Saales überschritten hatte, war schon das Gewitter herauf. Alles lachte, und Bamme rief: „ertappt!" Nur Krach bewahrte wie gewöhnlich seine Haltung. (Fortsetzung folgt.)
Mrfönliche Erinnerungen aus den Jahren 1848—1850.
VI.
Wenn ich am Schlüsse des vorigen Kapitels der Haltung des Berliner Magistrats nicht ohne Anerkennung gedacht habe, so habe ich dabei selbstverständlich mehr die negative Seite der Sache im Auge gehabt, ohne von seiner Tapferkeit und Energie viel Rühmens machen zu wollen. Magistrat wie Stadtverordnete bestanden damals noch aus Elementen, deren Freiheitsdrang nicht über das Rotteck-Welckersche Staatslexikon hinausging und die im Zweifelsfalle sogar geneigt waren, lieber ein Bischen mehr Ruhe als Freiheit zu genießen. Dazu kam, daß das Haupt des Magistrats, Herr Krausnick, zwar eine Zeit lang mit dem kirchlichen Liberalismus geliebäugelt hatte, jedoch dem königlichen Hause aufrichtig ergeben war und bald auch seinen eigenen Stuhl von den Wellen der Revolution umspült sah. Unter diesen Umständen war derselbe nur wenig geneigt, der revolutionären Bewegung in Ber-lin irgendwie Vorschub zu leisten, und wenn er selbst auch bald veranlaßt wurde, dem ausgesprochenen Mißtrauen seiner Mitbürger zu weichen, so blieb doch die Haltung des Magistrats im wesentlichen dieselbe.
Freilich fehlte es auch hier nicht an Versuchen, einzelne Mitglieder einzuschüchtern, ja selbst die Stadtverordneten in eorxoro zur Niederlegung ihres Mandats zu bewegen und Neuwahlen auf breitester Grundlage zu veranlassen, doch kamen diese Anläufe nicht über den mmeös ck'astiino hinaus. Die Väter der Stadt Berlin hatten, wie der Minister v. d. Pfordten, einen politischen Ueberzieher, der auf beiden Seiten getragen werden konnte; bei Tage eorileur cks rose, im Stillen eonlmir ä« Aan- teullol. Einige der Herren besaßen eine solche Gewandtheit im Kostümwechsel, daß die Hofschauspieler bei ihnen hätten in die Schule gehen können. Hätte Berlin damals eine Stadtverordnetenversammlung gehabt wie die heutige, so möchte vielleicht manches einen andern Verlauf genommen haben.
Für jeden, der die Geschichte der ersten französischen Revolution mit Verständniß studirt, wird kaum ein Zweifel darüber bleiben, daß es nicht die verschiedenen, einander ablösenden Nationalversammlungen, sondern daß es die Munizipalität und die Commune von Paris waren, welche den Charakter und den Fortschritt der Revolution bestimmten, weshalb es auch in der revolutionären Konsequenz liegt, daß die Fortsetzungen immer wieder ihren Anschluß an die Commune suchen. Bei dem „Volke der Denker" dagegen ist es bis dahin das Prinzip, welches als Parteiprogramm den Krystallisationspunkt bildet.
Dehnt man den Blick über Berlin aus, so ist es zunächst die Aristokratie, auf welcher der Blick haftet. Es darf hier die Thatsache konstatirt werden, daß der Adel, mit kaum nennens- werthen Ausnahmen, zur royalistischen Partei zählte, wie dies in dem damaligen Offizierscorps der preußischen Armee am greifbarsten seinen Ausdruck fand. Nichtsdestoweniger fanden sich auch hier gewisse Nuancen, da, selbst abgesehen von der Provinz Posen, deren Adel eine Zeitlang gegen Prenßen in Waffen stand, in der Provinz Preußen auch außerhalb des Polnischen Elements sich ein nicht unbedeutender Bruchtheil fand, welcher es dem seligen Kant schuldig zu sein glaubte, im
Nachdruck verbukt'»,
Ges. v. I I./VI. 7«.
preußischen Staate die „reine Vernunft" zu repräsentiren, und der sich außerdem daran gewöhnt hatte, den „alten Schön" als den größten der lebenden Staatsmänner zu bewundern.
Ebenso hatte der schlesische Adel insofern eine eigenthüm- liche Stellung, als dort die „feudalen Dienste und Lasten" den Bauernstand als seinen Gegner anftreten ließen, ein Verhältniß, das seine Sicherheit und seinen Einfluß einigermaßen gefährdete. Nichtsdestoweniger war dieser Einfluß stark genug, daß gerade der schlesische Adel von Hause aus am stärksten in den preußischen Parlamenten vertreten war.
Daß in den westlichen Provinzen die kirchliche Stellung und die Kirche selbst auf die Haltung der einzelnen Stände nicht ohne Einfluß blieb, ist selbstverständlich, doch darf aus jener Zeit den kirchlichen Organen das Zeugniß nicht versagt werden, daß, wenn sie auch die staatlichen Hemmnisse abzu- streifen bestrebt waren, dieser relative Gegensatz doch nicht in Feindschaft ansartete und das Gefühl vorherrschend blieb, daß der angefachte Brand die Fundamente von Staat und Kirche gleichmäßig bedrohe. Leider ist dies Gefühl in neuerer Zeit auf beiden Seiten in gleich bedenklicher Weise geschwächt.
Anlangend den Bauernstand, so war hier der erste Eindruck der einer völligen Verwirrung und Ueberraschung. Man verstand es absolut nicht, daß ein Anderer befehlen solle als der König, und beruhigte sich damit, daß der König auch wohl bald wieder alles in Ordnung bringen werde. Erst als es den Führern der Demokratie gelang, socialistische Gelüste auf unentgeltliche Beseitigung gewisser drückender Lasten und Abgaben rege zu machen, kam Bewegung in die träge Masse und explo- dirte hier und da in theilweise blutigen Excessen. Es gehörte damals bei der Demokratie gleichsam znm guten Ton, die „Beseitigung der feudalen Rückstände des finstern Mittelalters" in ihr Programm aufzunehmen, und es ist nur verwunderlich, wenn jene Herren sich heute darüber wundern, daß ihr Vorgang so gute Früchte getragen und so eifrige Nachfolger gefunden hat.
Glücklicher Weise wurde der Bauernstand jedoch schnell ernüchtert, als die hinter ihm stehenden Tagelöhner mit ihrer Forderung von sechs Morgen Land und dergleichen etwas dringender wurden und ihnen dadurch das Anerkenntniß der Solidarität ihrer Interessen mit denen der größeren Grundbesitzer gewissermaßen aufgezwungen wurde. Mir ist in dieser Beziehung noch eine komische Volksversammlung aus Pommern in Erinnerung, in welcher der Abgeordnete des Kreises, der vor seiner Wahl jedem alles Mögliche versprochen hatte, über den Erfolg seines Wirkens Rechenschaft ablegen sollte. Der Mann hatte die Situation begriffen. Derselbe versicherte mit der unbefangensten Miene, er habe alles durchgesetzt und der König habe alles genehmigt. Es komme nun nur darauf an, wer das Land und das Geld hergeben solle. Er wende sich deshalb zunächst an die Bauern mit der Frage, ob diese vielleicht dazu geneigt wären? Die Antwort kann man sich leicht denken, doch entging er selbst schlagenden Mißtrauensvoten dadurch, daß er die Bauern und Tagelöhner aufforderte, die Sache