320
zunächst unter einander abzumachen, was denn auch in der ausgiebigsten Weise erfolgte.
Wie groß übrigens damals die Confusion der Begriffe war, ersieht man am besten aus einer Rede, welche Seitens des verflossenen Justizministers Bornemann in der Sitzung vom 7. Oktober 1848 gelegentlich der Aufhebung des Jagdrechtes gehalten wurde. Nachdem dieser Vertreter des Rechtes nämlich zuerst den Satz aufgestellt hatte, daß Privateigenthum allerdings unverletzlich und höchstens gegen vollständige Entschädigung aufzuheben sei und daß, je größer die Freiheit des Eigenthums, desto größer auch der Schutz desselben sein müsse, gelangte er nichtsdestoweniger zu der Konklusion, daß das Jagdrecht unentgeltlich aufzuheben sei, obschon dasselbe als Privateigenthum angesehen werden müsse. Unter anderen merkwürdigen Gründen, als wie, daß guter Hammelbraten auch nicht schlecht schmecke, machte er dafür geltend, daß Umstände vorlägen, wo ein freiwilliges Opfer des Eigenthums moralische Pflicht sei und daß man deshalb die Berechtigten auch wider ihren Willen zu dieser freiwilligen Hingabe gesetzlich zwingen müsse. Außerdem wünsche die große Majorität der Nationalversammlung die sofortige Aufhebung des Jagdrechtes, es könne deshalb von einer zeitraubenden Ablösung nicht die Rede sein, vielmehr müsse die Aufhebung zwangsweise und unentgeltlich erfolgen. Ich fürchte, daß die Sozialdemokraten sich dieser Argumentation zur gelegenen Zeit erinnern werden.
Wenn aber ein namhafter Jurist sich zu derartigen De- ductionen herbeilassen konnte, so ist es zu begreifen und selbst zu entschuldigen, wenn in der Masse der Bevölkerung eine völlige Rechtsverwirrung platzgriff und die Gelüste nach fremdem Eigenthum nicht vor der Gränze stehen blieben, welche die Demokratie als fortan unverletzlich zu bezeichnen beliebte.
Daß die Mehrzahl und selbst hervorragende Mitglieder der demokratischen Partei nach Wiederherstellung der Ordnung in der Dunkelheit verschwanden, aus welcher sie vorübergehend aufgetaucht waren und daß selbst die, denen es gelang sich auf der Oberfläche zu erhalten, doch ihren Einfluß und ihre Bedeutung in der Hauptsache verloren hatten und nach dem beliebten Kunstausdrucke von ihrer Partei nur noch zum Krebsen benutzt werden konnten, war nichts als der natürliche Kreislauf der Bewegung. Selbst Waldeck war nach dem Eintritt des Ministeriums Manteuffel nur noch eine Reminiscenz und ein Anachronismus, dem nur ein gewisser Fanatismus und die Mache der Parteigenossen die Thatsache verhüllte, daß sein Auftreten keine Resonnanz mehr fand und daß die Führung bereits in andere Hände übergegangen war.
Von den sonst genannten Personen ist eine der interessantesten unstreitig der Freiherr v. Vincke. Schon auf dem ersten Vereinigten Landtage als geistreicher Opponent und specieller Gegner seines Landsmannes, des Ministers v. Bodelschwingh, hervorgetreten, beharrte er in dieser seiner Stellung auch während der Märzbewegung. Wiederholte Versuche, ihn für die Regierung und zum Eintritt in diese zu gewinnen, fanden eine entschiedene Zurückweisung, was — beiläufig bemerkt — für ihn selbst wie für die Regierung gleich vorteilhaft war. Herr v. Vincke hatte, wie sich dies schon während seiner Thätigkeit als Landrath herausgestellt, durchaus kein Talent zum Regieren, war dagegen, abgesehen von einer gewissen Unberechenbarkeit, ein ausgezeichneter parlamentarischer Debatter. Als solcher hat er in der Paulskirche Preußen sehr wesentliche Dienste geleistet, wenngleich er diese später einigermaßen dadurch quitt machte, daß von ihm der Ruf ausging: „Weg mit diesem Ministerium" (Manteuffel). Ueberhaupt fanden sich in seinem Charakter und Auftreten Widersprüche, welche nur diejenigen zu vereinigen vermochten, denen es vergönnt war, ihm persönlich näher zu treten. Feind alles Staats-Kirchenthums und dabei persönlich von tiefer ungeheuchelter Frömmigkeit; ein entschiedener preußischer Patriot und daneben Parteigänger der Frankfurter Kaisermacherei; entschlossener Gegner der demokratischen Wühlerei und dabei unversöhnlicher Feind des Ministeriums, dem es gelungen war, die Autorität zu restauriren, mangelte es ihm an der Gabe der positiven politischen Conception, er blieb deshalb wesentlich in der Negation befangen, was sich namentlich als
dann herausstellte, als Herr v. Vincke später in dem Abgeordnetenhause über eine Fraktion disponirte, welche alle Abstimmungen beherrschte.
Besonders war es Herr v. Bismarck, zu welchem er damals in scharfen persönlichen Gegensatz trat, da letzterer als ent- ^ schiedener Vorkämpfer des Ministeriums Manteuffel auftrat und derjenige von der Rechten war, welcher die Schlagworte ! des Herrn v. Vincke mit gleicher Münze zu bezahlen vermochte. !
Daß Herr v. Vincke später einer der entschiedensten Bewunderer !
des Grafen Bismarck wurde, ist bekannt. !
Vor allen aber war inzwischen Professor Stahl in den I Vordergrund getreten, zunächst in der ersten preußischen Kam- ! mer in Verbindung mit dem Präsidenten v. Gerlach, dessen i Verhältniß zu ihm dem von Luther zu Melanchthon nicht ganz ^ unähnlich war, demnächst aber in Erfurt, von wo sein geslügel- I tes Wort „Autorität, nicht Majorität" als Parteiparole nach i Berlin zurückkehrte, leider jedoch um hier je länger desto mehr ! dem bureaukratischen Absolutismus als Aushängeschild zu die- > nen. In hervorragendem Maße ausgestattet mit dem scharfen k logischen Verstände seines Volkes, war Stahl ein ausgezeichneter politischer Systematiker und dabei von einem so gewinnenden Auftreten, daß es ihm dauernd gelang, der Führer einer ziemlich eigenwilligen Aristokratie zu werden und den sonst dort vorherrschenden Partikularismus und Absolutismus allmälig so weit abzuschleifen, daß selbst der entschiedenste „Junker" eine Rede von Stahl gern als seine Meinung gelten ließ.
Daß dies dem Herrn v. Gerlach weniger gelingen wollte, obschon derselbe den Anschauungen der Aristokratie von Hause aus näher stand, hatte außer der etwas paradoxen Form seines Auftretens darin seinen Grund, daß er vor allem auf die !
Praxis drängte und von jedem verlangte, die großen Fragen j
des Tages mit der ihm selbst eigenen Unparteilichkeit und ^ Selbstlosigkeit zu behandeln oder, wie er es drastisch auszu- I drücken Pflegte, „die Front nach Staat und Kirche und nicht ^ nach dem eigenen Mist zu nehmen".
Die schwierigste und inhaltsreichste Frage bleibt indeß die, in welcher Weise und mit welchem Machtverlust oder Zuwachs, sowohl uach innen als nach außen, Krone und Negierung aus den dahinter liegenden Verwickelungen hervorgegangen waren.
Läßt man sich dabei nur durch den ersten Eindruck leiten, so gewinnt es fast den Anschein, als ob nach außen im wesentlichen alles beim Alten geblieben sei und nach innen die Krone insoweit einen Machtverlust erlitten habe, als ihre frühere Machtvollkommenheit durch die Verfassungsurkunde beschränkt worden sei. Dieser Anschein verschwindet jedoch, sobald man die Situation näher in das Auge faßt.
Allerdings waren die territorialen Verhältnisse Europas dieselben geblieben, die Aufstands - und Abreißungsversuche mit Waffengewalt niedergeschlagen, auch der alte Bundestag wieder in Funktion getreten, und doch war das Europa von 1852 ein wesentlich anderes, als das von 1847 gewesen war. Die bisherige traditionelle Sympathie für Oesterreich war in Olmütz begraben und selbst aus denjenigen Kreisen gewichen, in denen sie noch lange nach den Märztagen standgehalten, es hatte insbesondere in der preußischen Armee an Stelle des ererbten Gefühls der Waffenbrüderschaft ein wenn auch noch nicht klar formulirter, Wunsch nach Revanche platzgegrisfen.
Ebenso war die Stellung des preußischen Volkes und selbst der Krone zu Rußland und dessen Kaiser nicht mehr dieselbe, wie sie unter Friedrich Wilhelm III und auch später noch gewesen war. Man empfand das befehlshaberische Auftreten des russischen Kabinets überall mit der tiefsten Erbitterung und es ist eine entschiedene Unwahrheit, daß die Kreuzzeitung und ihre Partei davon eine Ausnahme gemacht. Es liegt mir noch ein Schreiben des Präsidenten v. Gerlach aus jener Zeit vor, in welchem er sagt: „Seien wir nicht russisch. Vermeiden wir auch den Schein davon. Wir müssen freie Männer bleiben auf unserem ewigen Fundament. Mit dem Absolutismus des Czaren können wir nicht sympathisiren." Die Kreuzzeitungspartei war damals nicht unpatriotischer, sie war nur klüger